München ist die Stadt meiner Schwester. Sie hat sehr jung geheiratet und mehr als 30 Jahre mit ihrer Familie in der bayrischen Hauptstadt gewohnt, bis sie mit ihrem zweiten Mann nach Niederösterreich gezogen ist. Als junges Mädchen war München für mich die große Welt und ich liebte es, die ‚Münchner‚ zu besuchen. Sie wohnten die ersten Jahre im Haus ihrer Schwiegereltern in Schwabing. Des Nachts hörte ich das monotone Verkehrsrauschen der Stadt – durchbrochen vom Rattern der Straßenbahnen und den alarmierenden Folgetonhörnern. Das war beängstigend und aufregend zugleich. Am abenteuerlichsten aber war das Ausgehen. Eines Abends – ihr Mann war Babysitter – während Greti, ihre Freundin und ich, Schwabing unsicher machten. Ich war knapp 16 Jahre und total unerfahren. Wir schlenderten die Leopoldstraße entlang bis wir zu dem Teil der Stadt kamen, in dem das legendäre Schwabinger Nachtleben stattfand. Der Türsteher einer Tanzbar hofierte uns, dass wir keinen Eintritt zu bezahlen bräuchten und ein Gratisgetränk bekämen. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Befremdlich war, dass wir drei einen zentralen Tisch bekamen, obwohl wir uns viel lieber in eine Nische gedrückt hätten, denn das Lokal war voller Männer. Eine Band spielte und ich wurde von einem kleinen dicken Amerikaner zum Tanz aufgefordert. ‚Kiss me quick‚ sang der Gitarrist und der Amerikaner drückte sich an mich und flüsterte mir ins Ohr: ‚No, kiss me slowly.‘ Voll Grausen machte ich mich frei und flüchtete von der Tanzfläche. Meine Schwester und ihre Freundin lachten natürlich, aber so bald als möglich verließen wir die Bar – wir drei Landpomeranzen haben seither eine Anekdote zu erzählen.
Die Marienkirche, der Stachus, die Kaufhäuser und natürlich das Hofbräuhaus, das wir mit den bayrischen Urlaubern oft genug besungen hatten, waren schon sehr beeindruckend, die Alte und die Neue Pinakothek voller bewundernswerter Kunstschätze, der Englische Garten und die Isarauen ein Erlebnis für sich. Gerne spazierten wir dort mit den Kindern. Vor fünf Jahren sang ich im Gospelchor von Mano Ezo mit. 1800 Sänger und Sängerinnen wollten in der Olympiahalle einen Weltrekord als größter Gospelchor aufstellen. Es wurde der Europarekord, aber das war mir nicht so wichtig. Es war einfach ein tolles Erlebnis. Ich blieb einen Tag länger und verbrachte eine schöne Zeit – einerseits mit alten Erinnerungen, andererseits mit neuen Entdeckungen. Im Heiliggeiststüberl hatte ich einmal eine sehr lustige Begegnung mit meiner Schwester und meinem Neffen Michael. Michael ist in München geblieben. Leider sehe ich ihn viel zu selten. Vielleicht treffen wir uns wieder einmal im Tiergarten. Hellabrunn ist schon einen Besuch wert – all die exotischen Tiere in einem weitläufigen Park.
Wann immer ich meine Schwester in München besuchte – sie kochte den besten Schweinsbraten und buk die leckersten Kuchen – hatten wir viel Spaß und kleine Abenteuer, ob beim Kleiderkauf, in den griechischen Lokalen oder mit den vielen Freunden, die bei ihr ein und aus gingen. Obwohl es jetzt auch bei unseren Besuchen in Niederösterreich etwas Besonderes ist, vermisse ich sie in München, das ja um so viel näher liegt als das Weinviertel.
© Christine Sollerer-Schnaiter 2025-02-27