In Omas Garten

Rosa M. Heyne

von Rosa M. Heyne

Story

“Gib mir meinen Schuh zurück!”, rief Silvie ihrem Bruder zu. Das fünfjährige Mädchen trug ein gelbes Kleid und weiße Schuhe. Die Oma hatte Silvie diese tollen Sachen auf dem Markt gekauft. Ihr ein Jahr älterer Bruder ärgerte sie immerzu. Er war frech zu ihr und lies sie nie in Ruhe spielen. Die Zwei verbrachten immer den ganzen Sommer draußen in Omas riesigem Garten, der voll mit roten, weißen und gelben Rosen und allerlei Gemüse war. Sogar ein großes Gewächshaus gab es dort, mit Paprika, Tomaten und Gurken. Immer wenn Oma ihre vielen Gurken erntete, rief sie alle Kinder der Nachbarschaft zu sich, damit sie ihnen Gurken geben konnte. Für Silvie gab es nur den Sommer in Omas Garten. Ihre Eltern hatten ein kleines Häuschen auf demselben Grundstück. Dort lebten ihr Papa, ihre Mama, ihr nerviger Bruder und sie. In dem Häuschen gab es nur zwei Zimmer, aber Silvie schlief sowieso immer bei der Oma. Silvie hatte die Oma am liebsten. Silvie liebte es, im Garten aus altem Schlamm Figuren herzustellen und diese in der Sonne trocknen zu lassen. Ihre Hände waren dann immer voll Schlamm und die Mama schimpfte mit ihr, sie solle sich ihre Kleider nicht schmutzig machen. Doch auf das gelbe Kleid und die weißen Schuhe, die Oma ihr geschenkt hatte, würde sie besonders gut aufpassen. Daher hatte sie ihre Schuhe ausgezogen beim Schlammbasteln, damit die nicht schmutzig werden. Doch da kam ihr böser Bruder und nahm ihren Schuh weg und versteckte ihn. Silvie zog den einen Schuh an, unsicher, ob es für den richtigen Fuß war und lief ihrem Bruder hinterher: „Gib mir meinen Schuh zurück“, rief sie wieder, doch der nervige Bruder lief einfach davon. Plötzlich gingen die grünen Gartentore auf, die für Silvie bis in den Himmel ragten. Ganz viele Männer stürmten in den Garten, Männer in grünen Kleidern und Kappen. Die Männer hielten die gleichen Spielzeuge in den Händen, das ihr großer Bruder neulich zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Die Mama kam herbei gelaufen und nahm Silvie auf den Arm. Sie rief nach ihrem Bruder. Als dieser kam, rannte sie zusammen ins Häuschen. Sie setzten sich auf dem kalten Boden in der Küche, wo der alte Holzofen stand. „Habt keine Angst, meine Kleinen“, flüsterte die Mama und setzte Silvie auf ihren Schoß. Ihr Kleid war nass, weil sie vorhin noch Wäsche gewaschen hatte. Silvie spähte aus dem Fenster der Küche und sah die Oma draußen im Garten. Sie schrie die Männer an, stampfte wild mit den Füßen und wedelte mit den Armen. Die grünen Gartentore gingen ein weiteres Mal auf und der Opa und der Papa kamen schnell herbeigeeilt. Papa kam in die Küche: „Los, geht zum Auto“, sagte er. „Beeilt euch, aber bleibt leise.“ Silvie, Mama und ihr Bruder flitzten schnell nach draußen und stiegen in das Familienauto, wo die Oma schon drin saß. „Ein Freund wird gleich kommen und euch hier wegbringen“, sagte er zu Oma und Mama. „Mama“, schniefte Silvie und klammerte sich an Mamas nasses Kleid. „Ich will meinen Schuh wieder haben.“ Dann fuhren sie fort.

© Rosa M. Heyne 2022-06-14

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