In Terra Pax Hominibus Bonae Voluntatis

Susanne Paulus

von Susanne Paulus

Story

„Auf Erden Friede den Menschen, die guten Willens sind“. Im „Gloria“ der h-Moll-Messe (1748/49) von Johann Sebastian Bach ist diese Stelle nach dem jubelnden Lobgesang des Chores auf die Herrlichkeit Gottes („Gloria in excelsis Deo“) nahezu übergangslos um eine Quint tiefer gesetzt, das Tempo wird getragener, die Stimmung ernster und trauriger: Der Friede auf Erden ist gefährdet. Das war vor 270 Jahren so und ist es bis heute.

Mit diesem Kunstgriff gelingt es diesem Meister der Barockmusik in seinem letzten großen Vokalwerk, das zu den am häufigsten gespielten Musikstücken der abendländischen klassischen Musik gehört und dessen Manuskript zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählt, dieses Grundübel der Menschheit auf eine Weise erfassbar zu machen, die keines äußerlich sichtbaren Zeichens, keiner plakativen Aktionen, Pamphlets, Happenings oder Demos bedarf. Er wird in seinem auf der Ebene höchster Kompositionskunst vertonten Gebet langsamer, verhaltener und anhand der wechselnden Tonart demutsvoller. „… et in terra pax hominibus bonae voluntatis“ wird vom Chor in einer kunstvollen Fuge gesungen. Denn der Friede fällt nicht einfach vom Himmel, er muss Stück für Stück erkämpft, muss hart erarbeitet werden und erfordert viel „guten Willen“.

So schön und stimmungsvoll Kerzen, Kränze und Kekse, Adventmärkte, Tannenbäume, Punschstände und Lichterketten auch sind, diese Kernbotschaft der Weihnacht geht immer mehr verloren, die Symbolik der Traditionen droht angesichts der überwiegend kommerziellen Interessen abhandenzukommen.

An diesem dritten Adventsonntag wird im Großen Saal des Wiener Musikvereins der Weihnachtsgedanke aufs Eindrucksvollste manifest. Dazu bedarf es keinerlei Adventsdekoration oder anderer Festlichkeitsattribute. Der Goldene Saal braucht nichts anderes als das Orchester, den Chor, die Solisten und den Dirigenten. Künstler, die all ihr Können und Schaffen in den Dienst dieses Werkes stellen und es zum Erklingen bringen. Und es braucht das Publikum, das zeit- und raumvergessen, gebannt und verzaubert diesem wundersamen gegenseitigen Beschenken beiwohnt. Der durchgehend regelmäßige Takt und Rhythmus dieser Missa solemnis drückt Verlässlichkeit und Beständigkeit aus, etwas, das immer da ist, das uns stützt und hält. Mein Puls wird ruhig, die Atmung gleichmäßig, mein Körper entspannt sich und mein Denken und Fühlen wird leicht und frei. Große Dankbarkeit umfängt mich. Dafür, dass ich hier bin, dass ich dieses Konzert erlebe, dass es etwas gibt, das zu mir durchdringt, meine Seele berührt, mich tröstet und auffängt.

Mit der von klangvollem Chorgesang abschließend ans Universum gerichteten Bitte „Dona nobis pacem“ („Gib uns den Frieden“) im Herzen trete ich aus dem Gebäude des Musikvereins hinaus in den kalten Adventsonntagabend. Den mit Menschenmengen überfüllten Weihnachtsmarkt daneben, vor der Karlskirche, lasse ich links liegen.

© Susanne Paulus 2022-12-12

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