Letztens hab ich festgestellt, dass es einfach zum Kotzen ist. Im verkappten Duo haben mir Medien und Markt doch tatsächlich weiß gemacht, dass ich mich ungeschminkt beim Bäcker um die Ecke nicht sehen lassen kann. Gott sei Dank ist jetzt Maskenpflicht, dann sieht man die Hälfte eh nicht. Glück gehabt!
Moment. Was? Hab ich das grad tatsächlich gedacht?
Mein Arbeitgeber hat letztens verordnet, dass sich MitarbeiterInnen bitte nicht mehr schminken mögen. Die zur Verfügung gestellten FFP2-Masken könnten zwar im Betrieb getrocknet und sterilisiert, jedoch nicht von bräunlich beigen Make-Up-Flecken gereinigt werden. Sieht für den nächsten dann ziemlich eklig aus… Angeordnete Natürlichkeit. Zum Wohle der Allgemeinheit!
Zur Verunsicherung vieler Frauen. Auch für mich.
Normalerweise genehmige ich es mir nämlich nicht, mich ungeschminkt in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wenn ich es ausformuliere, merke ich erst, wie bescheuert das ist, aber es stimmt: ich fühle mich ungeschminkt nicht wohl mit anderen. Ich will nicht, dass sie meine „Schattenseiten“ sehen. Es ist der chronische Glaube, nicht schön genug zu sein.
Die Haut zu fahl, die Augen zu klein, die Ringe drunter zu dick, die Lippen zu blass, zu viele Unreinheiten. Zu, zu, zu… zum Verrücktwerden!
Wenn ich mal aufwändigeres Make-Up trage, regnet es dagegen Komplimente: Wow, gut siehst du aus! Du strahlst so!
Achso, tu ich das? Weil ich geschminkt bin?
Oder weil ich mich nur geschminkt traue, dir selbstbewusst ins Gesicht zu sehen?
Es ist schon tägliches Ritual geworden, meine Haut zuzukleistern, die mich vor zu viel Sonne oder schädlichen Umwelteinflüssen schützt. Ich erschwere ihr die Arbeit, indem ich ihre Poren verstopfe. Diese Poren sind dafür verantwortlich, dass Schweiß meinen Körper kühlen kann, wenn er heiß läuft, und Schadstoffe ausgeschieden werden, die da nicht hingehören. Der Säureschutzmantel meiner Haut wehrt sogar Krankheitserreger ab! Aber egal. Genauso wie die Tatsache, dass das Zeug, das ich mir auf die Wimpern schmiere, die Chemie meiner Augenflüssigkeit stört, die mir beim Sehen hilft. Ganz nebenbei esse ich im Lauf meines Lebens kiloweise Lippenstift, Gloss und Co. Sonst ernähre ich mich aber meist vegan. Das ist doch völlig absurd!
Warum nehme ich es eigentlich protestlos hin, alle Hautunebenheiten, Rötungen und Co. unscheinbar machen zu müssen, um scheinbar schöne Haut zu haben? Warum ist mir noch nie in den Sinn gekommen, dass meine Haut schön IST, weil sie einfach nur da ist und mich gesund hält?!
Warum lernen wir von unseren Müttern, uns zu schminken, anstatt zu lernen, uns schön zu fühlen – ohne das ganze Zeug!? Wann werden wir anfangen, uns gegenseitig Komplimente zu machen für den Mut, uns einander ohne Chemie im Gesicht zuzumuten? Und wie lang wird es dauern, bis ich dafür gar keinen Mut mehr brauche und mich beim Blick in den Spiegel wieder wunderschön und frei und so leicht fühlen kann, wie damals, als Kind?
© Marlene Baumgartner 2020-05-11