von Florian Pfänder
Inge besaß keine Türklingel. Demnach dauerte es eine Weile bis sie auf mein dumpfes Pochen an der Tür reagierte. Sie öffnete die Tür etwas überrascht und musterte mich erneut eindringlich, so wie sie es schon in der Galerie getan hatte. „Entschuldigen sie. Ich muss wohl eingeschlafen sein.“, sagte sie und rieb sich dabei ihre Augen, wobei die Röte aus ihren Augen nicht zur Gänze verschwand. „Schon in Ordnung!“, erwiderte ich und grinste. „Ich hoffe, sie hatten dennoch einen guten Schlaf?“ Inge errötete kurz und konnte ein flüchtiges Lächeln nicht verbergen, während sie mich in ihre Wohnung bat. Hätte man geglaubt, dass der Flur des Hauses bereits zu schmal gebaut worden war, so war dies nichts im Vergleich zu Inges Wohnung gewesen. Inges Wohnung bestand, soweit ich dies aus meiner Perspektive an ihrer Wohnungstür beurteilen konnte, aus einem kurzen schlauchartigen Gang an dem sich zwei Türen auf der linken und eine Tür auf der rechten Seite reihten und mir gegenüber auf der anderen Seite befand sich noch eine kleine Garderobe, an der einige von Inges Jacken hingen. Die rechte Tür musste das Badezimmer sein, denn sie war beschildert mit einer Karikatur eines dicklichen Jungen, der gerade dabei war, mit offensichtlicher Anstrengung, seine Notdurft zu verrichten, indem er versuchte in einen Nachttopf zu zielen. Die zweite Tür links musste das Schlafzimmer sein, denn ich meinte trotz des abgedunkelten Raums noch schemenhaft ein Bett zu erkennen. Die erste Tür auf der rechten Seite war Inges Küche oder Wohnzimmer, denn man konnte eine alte Kommode erkennen, deren Scheiben im Sonnenlicht leicht reflektierten. Inge ging an mir vorbei, wobei ich mich ertappt fühlte es dem dicken Mann ein Stockwerk unter mir gleichzutun und meinen Bauch einzuziehen. Sie lief zur ersten Tür auf der linken Seite, ihrem vermeintlichen Wohnzimmer oder ihrer Küche, dann drehte sie sich auf dem Absatz noch einmal zu mir um, schaute mich fragend an und sagte: „Wollen sie etwa das Interview vor der Wohnungstür machen? Ich dachte eigentlich immer, dass auch Journalisten keinen Komfort scheuen würden, oder?“ Sie grinste leicht hämisch und schien zu wissen, dass sie recht hatte. Leicht belustigt fügte ich hinzu: „Oh. Natürlich, sie haben ja recht. Ich war nur … .“ Etwas schüchtern wollte ich sagen, doch Inge umging diese noch fehlende Floskel mit einer abwertenden Handbewegung und bedeutete mir ihr in den Raum zu folgen. Ich folgte und ging ihr hintendran in den Raum. Als ich den Raum betrat, konnte ich zunächst kaum etwas erkennen da das Sonnenlicht, das zuvor im Flur nur die Glasoberflächen der rechtsstehenden Kommode erleuchtet hatten, nun den ganzen Raum durch zwei große Fensterfronten auf der rechten Seite durchfluteten.
© Florian Pfänder 2023-07-10