von Harald Wieser
Über den ungeschmückten Plätzen und fahlen Häuserzeilen, den gefrorenen Brunnen und dem Park der Hofburg, spannt sich düster ein Himmel von grauem Nebel und die Stadt liegt in einem Regendunst eines letzten hässlichen Novembertages. Kein Vogelgeschwätz oder heimlicher Jubel über allen Gassen. Auf den Plätzen summt kein amüsantes Treiben. Keine Reisenden schauen rechts und links in wahlloser Neugier an den Fassaden der Gebäude hinauf oder bevölkern die freien Treppen der Museen. Die meisten Fenster sind geschlossen, aus keinem dringt Musik auf die Straßen hinaus, weder Übungen auf dem Klavier, der Geige oder dem Violoncell, keine redliche und wohlgemeinte dilettantische Bemühung. Auch im Café Central bleibt der Flügel stumm. Keine jungen Leute, die das Schicksals-Motiv pfeifen und abends das große Haus im Landestheater füllen, wandern, literarische Zeitschriften in den Seitentaschen ihrer Jacketts, in der Universität aus und ein. Vor dem Ferdinandeum, das seine weißen Stufen auf die Museumsstraße hin ausbreitet, hält sich niemand auf. Nur rigides und hastiges Eilen in all den engen Gassen der Altstadt. Man ist nur von Erwerbsgier gehetzt und lebt keinem angenehmen Zweck. Keine jungen Künstler, jene unbesorgten Gesellen, die ihren Mietzins nur mit Farbenskizzen bezahlen, gehen spazieren, um diesen nebelgrauen Nachmittag auf ihre Stimmung wirken zu lassen. Phantasielos, bizarr, bloßgestellt, gibt sich die Stadt. Es ist einfach nicht mehr ergötzlich, vor den Auslagen der Kitschschreinereien für altmodische Luxusartikel zu verweilen. So wenig orchideenhafte Form, so wenig linearer Witz in der Gestalt aller Dinge! Nirgends sind kleine Skulptur- und Antiquitätenhandlungen verstreut, aus deren Schaufenstern dir die Bilder von Geburten diverser Götterfrauen voll einer edlen Pikanterie entgegenschauen. Dort oben am Südtirolerplatz, angesichts der großen Triumphpforte, vor der sich die enge Altstadt ausbreitet und geradeaus weiter zum Goldenen Dachl, drängt man sich um die schmalen Fenster und Schaukästen. Die Auslagen sind wahrlich keine Pracht! Reproduktionen von Dilettantenwerken aus den schlechtesten Kunststätten der Erde, eingefasst in billige, überornamentierte Rahmen in einer Geschmacklosigkeit von ungezierter Übertreibung. Abbildungen sinnbetrübender Phantasien, geschmacklose Bronzeleiber und pompöser Ziertand; außerirdisch wirkende Vasen von plattem Stil, die aus einer Art Galvanisierung in einem eintönigen Metallmantel hervorgegangen sind; eingefasst in eine schmucklose und bäuerliche Prunklosigkeit.
Kein Mensch grüßt. Die Kunst blüht nicht, die Kunst ist erniedrigt, die Kunst streckt ihr dornengekröntes Haupt von der Stadt weg und weint. Ein allseitiges respektloses Lustigmachen an ihrem Verfall, eine allseitige, faule und achtlose Benützung der Unförmigkeit, des Unsinns, der Hässlichkeit obwaltet. Innsbruck verblasst.
© Harald Wieser 2020-02-03