von Eva D
Von mehreren Seiten wurde mir abgeraten, diesen Job anzunehmen. Doch in mir rief es ganz laut „Jaaa!“, als ich das Angebot bekam. Von „mit dem Kugelschreiber können sie dich abstechen“ bis hin zu „warum verbringst du deine Zeit mit solchen Leuten?“, hörte ich so einiges. Aber es war mir egal, ich gab meinem Bauchgefühl nach und sagte zu.
Mehr als zwei Jahre ist das nun her und ich mache und liebe diesen Job noch immer. Jeden Montag um acht Uhr wird „de Deitschlehrarin is do“ vom Erdgeschoss in den ersten Stock gefunkt. Ich drehe das Handy ab, sperre meine Handtasche ein und warte im Foyer darauf abgeholt zu werden und drei Stunden mit einer Gruppe von Insassen in der Kapelle der Justizanstalt zu verbringen.
Über der Tafel hängen Bilder der Stationen des Kreuzwegs, gegenüber befindet sich der durch eine Glaskuppel immer gut beleuchtete Altar. Das Tafeltuch brachte ich selbst mit, im Gegensatz zu den bunten Kreiden wurde das noch nicht entwendet.
Warum die Männer hier sind, ist mir in den meisten Fällen nicht bekannt. Es geht mich auch nichts an, denn mein Job ist es hauptsächlich, ihnen meine Muttersprache beizubringen, mehr nicht. Und das ist eine schöne und große Herausforderung, denn anders als „draußen“ sitzen hier nicht Menschen mit ungefähr gleichem Sprachniveau, nein, hierher kommen alle, die Deutsch lernen wollen und eine Genehmigung dafür haben.
Da ist der primäre Analphabet, mit dem ich in der Pause das Verbinden von Buchstaben übe, und der bereits erste Leseerfolge erzielt. Da ist der Neue, dem ich alles auf Englisch übersetze, weil er noch gar nicht Deutsch kann. Und der weit Fortgeschrittene, der fünf weitere Sprachen spricht, bislang keinen Kurs verpasste und immer die Hausübung bringt. Alle sitzen sie auf ihren Holzstühlen mit Schreibunterlage und arbeiten über die gesamte Kursdauer konzentriert mit. Etwas, das ich nicht erwartet hatte und mich jedes Mal aufs Neue begeistert.
Ich weiß gar nicht, wie viele Teilnehmer ich schon hatte, da ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Als der aktuelle Kurs im August inklusive eines Besuchs der Justizministerin startete, war noch niemand von jenen hier, die ich aktuell unterrichte. Das liegt daran, dass einige die schwedischen Gardinen verlassen durften und an der Verlegung in andere Justizanstalten.
Ob ich denn keine Angst hätte, wurde ich schon mehrmals gefragt. Meine ganz klare Antwort ist: Nein! Nicht eine Sekunde lang war ich in einer Situation, die mir ein mulmiges Gefühl bescherte. Wir pflegen einen respektvollen Umgang miteinander und lachen (manchmal zu) viel während des Kurses.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ich ein Angebot einer anderen Justizanstalt annahm. Dort darf ich zurzeit nur online unterrichten, aber im Herbst werde ich dann vor Ort sein und live mit Menschen arbeiten, die kein so großes Glück im Leben hatten wie ich, die pünktlich um elf Uhr wieder den Himmel über sich hat und stets mit einem reicheren Erfahrungsschatz nach Hause radelt.
© Eva D 2021-06-25