Inselballett

Bernd Lange

von Bernd Lange

Story

Die Inszenierung der kleinen Bucht findet täglich statt. Immer zu wechselnden Zeiten, immer in anderer Besetzung. Die Spielstätte allerdings ist immer die gleiche, es ist der Strand von Cannelle, eine der schönsten Bühnen auf Gíglio.

Komme ich frühmorgens, tanzen die seichten Wellen noch für sich auf dem feinsandigen, hellen Boden. Und die Sonnenstrahlen dazu hüpfen auf der klaren Meeresoberfläche und werfen von Sekunde zu Sekunde neue Impressionen in die verträumte Bucht. Komme ich um die Mittagszeit, tanzen bunte Sonnenschirme, die neben gleichfarbigen Liegestühlen, streng formiert im leichten Halbrund, akkurat ausgerichtet, nebeneinander im weißen Sand stecken. Winken im seichten Wind, der vom Meer eine frische, angenehme Brise bringt. Komme ich am frühen Abend, jubelt die aufgeheizte Luft über dem warmen Sand und wirft bizarre Fate morgane, die dem Auge ein träumerisches Bild vorgaukeln. Und komme ich des Nachts, funkeln unendlich viele Sterne in einem Himmelszelt, das sich sanft über das Wasser legt, und der Mond schaukelt in Frieden unter der Milchstraße.

Bis auf diese Stunden, in denen der kleine Strand nur allein mir gehört, in denen nur die Fische ihre lautlosen Lieder singen, gestalten sonst bikini- und badehosengestylte Menschen in allen Brauntönen das Szenarium. Im Mai ist es noch nicht unangenehm überfüllt am Strand von Cannelle. Auch im noch recht frischen Meer tummeln sich nur wenige Mutige, Kinder bleiben meist lediglich mit den Füßen im Wasser stecken. Es überwiegt noch eine gelassene Beschaulichkeit, die mit Beginn der Vacanze di Ferragosto eine Ende finden dürfte.

Das Ballett der Touristen am Strand ist wie überall: bunt, belebend, beweglich. Um diese Zeit mehr Italiener als andere Nationalitäten schlummern im Liegestuhl. Oder lesen – männlich – ihre Gazette, vornehmlich den Sport, oder – weiblich – unterhalten sich gestikulierend, im Sand sitzend oder an der fließenden Grenze zwischen Sand und Wasser hin- und herdefilierend, über Mode, Stars und was am Abend gekocht wird. Kinder spielen im Sand, meist im feuchten, mit Eimer und Schaufel und Förmchen, die Bilder von Meerestieren modellieren, eingeölt und mit Mütze von der Sonne abgeschirmt. Lutschen Eis, das ihnen schneller wegschmilzt und in den Sand fällt, als sie es essen können. Mal spielt auch ein Pas de Deux, ein frisch verliebtes Pärchen, das einem Liebesspiel verfällt, was nicht unbedingt für eine öffentliche Aufführung geeignet ist. Doch solange die Sonne scheint, sind es bewegte Tänze, ohne Unterbrechung, auch wenn es um die heiße Mittagszeit für wenige Stunden ruhiger wird.

Den letzten Auftritt hat die Sonne. Sie spielt nur ein kurzes Stück ihres Spettacolo: Sonnenuntergang über dem Meer. Ein leuchtend roter Ball, in den sich eine Möwe reinmischt, versinkt im dunkelblau-violetten Meer. Ich applaudiere mit einem Glas Wein im Sand, ich habe Pause. Meine Trauminsel auch, Gíglio schminkt sich neu für den nächsten Tag.

© Bernd Lange 2020-08-10

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