Internat – widersprüchliche Gefühle 2 / 3

Eva Filice

von Eva Filice

Story

Nach dem Mittagessen am Sonntag zogen sich die Großeltern zu einem Mittagsschläfchen in ihr Zimmer neben der Küche zurück. Ich half Mama beim Abräumen. Papa blieb auf der Bank in der Küche und ersuchte mich das Radio einzuschalten, denn er hörte täglich um 12:00 „Autofahrer unterwegs“. Nun war die Sendung schon fast zu Ende. Papa begab sich in eine liegende Haltung und schlief bald ein, sein vertrautes Schnarchen übertönte fast die Sprecherin.

Die Stimme der Sprecherin erinnerte mich, dass ich vor einigen Jahren mit Mama bei der Sendung in Wien dabei war. Wir besuchten damals eine Tante in Wien, und als wir auf die Abfahrt des Busses warten mussten, kamen wir durch Zufall beim AEZ im 3. Bezirk vorbei und verfolgten im Übertragungssaal die Radiosendung. Das war sehr aufregend für mich. Ich konnte die Sprecherin Rosemarie Isopp sehen und nicht nur hören wie sonst. Sie hatte dunkles, lockiges kurzes Haar und sehr lebhafte Augen, die sehr ausdrucksvoll zur Geltung kamen. Sie sprach förmlich mit den Augen. An diese Augensprache erinnerte ich mich jedes Mal, wenn ich sie daheim im Radio hörte. Auf einer Tafel erschien in roter Schrift, wann die Besucher applaudieren durften.

„Drei Stunden noch“, dachte ich sorgenvoll, „dann muss ich wieder von zu Hause weggehen!“ Meistens begleitet von Papa, der den schweren Koffer bis zur Bushaltestelle trug. Der Koffer aus beigem Kunststoff wurde eigens für mich gekauft, als ich nach der Hauptschule im Herbst nach Eisenstadt ins Internat kam. Ich wollte unbedingt Lehrerin werden und so entschieden sich meine Eltern auf Empfehlung des Direktors unserer Hauptschule mich im Theresianum, in der Klosterschule in Eisenstadt, anzumelden.

Das Tragen dieses Koffers beim Umsteigen in Neusiedl am See war jedes Mal umständlich, und vor allem war das Schleppen von der Endstation des Busses in Eisenstadt bis zum Internat bergauf zu bewältigen. Ich trug den Koffer einmal in der linken Hand, wechselte dann in die rechte und hielt so wie viele Mitschülerinnen immer wieder an, um zu rasten. Wechselwäsche und haltbare Lebensmittel für 14 Tage sowie Bücher, die ich zum Lernen mit nach Hause genommen hatte, ergaben das Gewicht, das mir den Aufstieg in Richtung Kalvarienberg erschwerte. Nach zwei Stunden Busfahrt und einer halben Stunde Weg zum Internat erreichte ich immer mit Herzklopfen das Schulgelände gegenüber der Kalvarienbergkirche. Vor dem Lieferanteneingang stand oft ein Auto mit geöffnetem Kofferraum. Ich erkannte den Vater einer Mitschülerin, der Besitzer eines Lebensmittelgeschäftes war.

„Bist du gerne in der Schule?“, fragte Mama unvermutet in die Stille. „Als du uns gestern Abend über Geografie und Geschichte erzähltest, warst du sehr begeistert, das hat mir gefallen. Ich hörte dir gerne zu, da mich Geschichte interessiert, bemerkte Mama.“

„Lernen ist schon schön,“ und da ich zögerte, fragte Mama in die entstandene Pause hinein: „Aber?“ Tränen kullerten aus meinen Augen.

© Eva Filice 2021-10-13

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