Introvertiert

Kristina Pyrlik

von Kristina Pyrlik

Story

Ich war schon immer eher der ruhige Typ. In der Schule meldete ich mich kaum, beim Familienessen hatte ich nicht viel beizutragen und wenn hitzige Diskussionen geführt wurden, hielt ich mich zurück.

“Du bist so ruhig.”

“Erzähl´ doch mal was.”

“Hast du nichts zu sagen?”

Solche Sätze hörte ich ständig. Von Lehrern, von Familienmitgliedern, von Freunden. Niemand verstand, dass ich einfach nicht der Typ war, der viel redete. Erst recht nicht, wenn man es von mir verlangte. Außerdem langweilte es mich, mit einigen Menschen über bestimmte Themen zu sprechen. Teilweise wusste ich auch einfach nicht, was ich sagen sollte.

In meinem Kopf dagegen war es alles andere als still. Ich dachte über viele Dinge nach, sprach jedoch wenig davon aus. Nur wenn ich mich hundertprozentig wohlfühlte, konnte ich offen reden. Da es in meiner Kindheit und Jugend jedoch oft Momente gab, in denen ich mich eher unwohl fühlte, schwieg ich lieber. Dass das scheinbar die “falsche” Verhaltensweise war, spürte ich vor allem in meiner Schulzeit.

Das Problem ist, dass Menschen mit einer überwiegend introvertierten Persönlichkeit in der Schule einen Nachteil haben. Wer nicht aktiv mitarbeitet und sich regelmäßig meldet, bekommt eine schlechtere Bewertung. Von den Lehrern wird oft angenommen, dass diese Schüler keine Lust haben, sich zu beteiligen oder dass sie nicht bei der Sache sind. Das war bei mir nicht der Fall. Ich konnte mich schriftlich einfach besser ausdrücken und schrieb meine Gedanken daher lieber auf, als sie laut auszusprechen. Leider verschaffte mir das neben zahlreichen Elterngesprächen, die sich ständig um dieselbe Problematik drehten, immer wieder schlechte Mitarbeitsnoten.

Vor ein paar Tagen schaute ich mir einen Online-Kongress zum Thema Stressbewältigung an. Einer der Präsentatoren war ein Experte für introvertierte, extrovertierte und ambivertierte Menschen. Er selbst bezeichnete sich als introvertiert und hatte in seiner Schulzeit Ähnliches erlebt. Ihm dabei zuzuhören, wie er den Fokus auf die positiven Eigenschaften dieses Persönlichkeitstyps legte, öffnete mir die Augen und mein Herz. Ich hatte mich immer schuldig gefühlt, weil ich so still war, hatte immer das Gefühl, dass etwas mit mir nicht stimmte. Doch nun weiß ich, dass jeder Mensch wundervoll und einzigartig ist, genau so wie er ist.

© Kristina Pyrlik 2021-06-04

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Romane & Erzählungen
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