Introvertierte Extrovertiertheit

Therese Liebschner

von Therese Liebschner

Story

Wie jeden Freitagabend hatte ich mich, vor den vom Duschen noch ganz beschlagenen Badspiegel gestellt, ihn mit dem Handrücken von der Feuchtigkeit befreit, die Wimpern getuscht und den dunklen Lippenstift aufgetragen. Ich würde wieder ausgehen. Heute war ich mit ein paar Freunden zum Billard verabredet. Ich schaltete meine kleine Bluetooth Musikbox ein und wartete auf die ersten Akkorde meines Lieblingssongs. Ich betrachtete mein Spiegelbild, griff nach der elektrischen Zahnbürste und begann sprudelnd den Song mitzusingen. Im Badezimmer roch es nach meinem herben Deo und meinem blumig zartem Parfum, welches ich mir letztes Jahr von meinen Eltern zum Geburtstag gewünscht hatte. Als ich nach meinem Pullover und dem Wohnungsschlüssel griff, wusste ich, dass meine Vorfreude echt war, jedoch nur kurz währen würde. In dem dämmrigen Raum standen einige Billardtische. Alle wurden an diesem Abend bespielt. Wir hatten uns für einen im Nichtraucherbereich entschieden. Ein vertrautes, leicht langweilig wirkendes Pärchen im Partnerlook begann konzentriert die ersten Kugeln zu versenken. Sie passten nicht hierher, dachte ich und ließ meinen Blick weiter schweifen. In der einen Ecke des Raumes, links neben dem Kicker saß eine junge Frau mit einem verwaschenen Bandshirt auf dem Schoß eines attraktiven brünetten Mannes, welcher aussah, als würde er morgen das Cover der “Men`s Health” zieren. Beide waren in einen leidenschaftlichen Kuss versunken, während die Männerrunde am Nachbartisch laut den Song von “Billy Talent” mit grölte und dabei Burger aß. Neue Menschen kamen hinzu, andere gingen und viele blieben. 

Ich spürte, wie in mir die altbekannte Emotion wieder aufstieg. Spürte wie mein Lippenstift nicht mehr zu meiner Stimmung passte. Ich hatte es bereits zwei volle Stunden ausgehalten und ich merkte, wie sich das Gefühl des Flucht-Gedankens mit dem Gefühl des Stolzes paarte. Beide Partner waren in diesem Akt nicht gleich aktiv. Die Angst begann, den Stolz zu Boden zu drücken und ihn triumphierend zu dominieren. Die Geräuschkulisse um mich herum wurde zunehmend lauter. Einzelne aufgeschnappte Worte aus Dialogen wurden zu einem gigantischen, rauschenden Schwall. Die Wände begannen sich systematisch in einem synchronen Rhythmus und gleichbleibendem Tempo auf mich zu zu bewegen. Ich schloss die Augen für ein paar Sekunden. Atmete mehrmals tief ein und aus. Hoffte, dass es keiner sah. Es war mal wieder soweit. Jetzt stand ich, mit dem Queue in der Hand, an den Billardtisch gelehnt und versuchte, meine Unsicherheit wegzulächeln. Ich wollte weg. Sehnte mich nach dem alleine sein. Ich wollte flüchten, zurück in meinen kleine, heile Welt. Wollte mit mir sein und nicht mit den Anderen, obwohl ich sie wirklich gern hatte.


© Therese Liebschner 2023-07-28

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Reflektierend
Hashtags