Irgendwo im Nirgendwo

Philippba

von Philippba

Story

Es ist jetzt 15 Jahre her, dass ich für vier Monate in England gelebt und gearbeitet habe. Vieles aus dieser Zeit habe ich im Trubel meines heutigen Alltags schon vergessen. Aber es gibt auch ein paar Dinge, die mir geblieben sind. Zum Beispiel eine tiefe Freundschaft zu einer italienischen Kollegin. In unseren Pausen vertraute sie mir immer die Neuigkeiten aus ihrem turbulenten Liebesleben an. Ich sog die Geschichten begeistert auf aber insgeheim war ich froh, in einer fixen Beziehung nach England gekommen zu sein. „I`m happy I`m leading a boring life“ stellte eine andere Kollegin immer kopfschüttelnd fest, wenn sie sich kurz zu uns setzte und Wortfetzen unserer Unterhaltung aufschnappte. In Gedanken stimmte ich ihr zu. Ich fand mein Leben zwar durch den Auslandsaufenthalt gerade alles andere als langweilig, aber wenigstens mein Liebesleben war stabil. Zumindest dachte ich das zu dieser Zeit noch, aber das ist eine andere Geschichte. Mein Freund studierte und wir wohnten zusammen am Campus, das war einerseits spannend wegen der vielen internationalen Studierenden, andererseits gab es für so „Beiwagerl“ wie mich nicht besonders viel zu tun. Meine Nachmittage verbrachte ich oft damit, die Schafe zu besuchen, die idyllisch rund um das Campusgelände grasten. Manchmal fuhr ich auch mit dem Bus, der ein paar Mal am Tag vorbeikam, in die nächste Stadt. Einmal am Rückweg, es war schon spät am Nachmittag und dämmerte bereits, waren kaum andere Fahrgäste mit mir unterwegs. Bald schon war ich ganz alleine mit dem Busfahrer. Ich fühlte mich unwohl und musterte ihn: ein kleiner, stämmiger Mann mittleren Alters, offensichtlich indischer Abstammung. Ich bemerkte, dass er mich ebenfalls über den Rückspiegel beobachtete und erschrak, als er plötzlich ohne erkennbaren Grund langsamer fuhr und den Bus schließlich am Straßenrand anhielt. Da standen wir nun, mitten auf der Landstraße, weit und breit war noch keine Station zu sehen. Keine Autos, keine anderen Busse. Nicht einmal Schafe. Ich blickte verunsichert nach vorne. Meine Hände zitterten, ich hatte Angst. Was hatte er vor? Gab es ein Problem? War ich in Gefahr? Der Fahrer räusperte sich, ehe er sich zu mir umdrehte und leise „Excuse me, Lady“ sagte. Ich dachte erst, ich müsste mich verhört oder ein Problem mit der englischen Sprache haben, als er mich fragte, ob ich denn wüsste, wo er an der Kreuzung da vorne abbiegen müsse. Er wäre die Strecke noch nie gefahren und hätte leider die Orientierung verloren. Ich war so perplex und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte ob der seltsamen Situation. Nachdem ich selber auch überhaupt keine Ahnung hatte, beschlossen wir gemeinsam, es einfach auszuprobieren und er entschied sich glücklicherweise für die richtige Straße. Ich war sehr erleichtert, sicher am Campus angekommen zu sein aber freute mich auch schon darauf, meiner Kollegin am nächsten Tag in der Pause auch einmal etwas erzählen zu können.

© Philippba 2019-05-06

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