von kurzgeschrieben
“Spiel dich doch nicht so auf”, rief meine Mutter genervt über die lauten Stimmen hinweg, während ich versuche gegen meine Großeltern zu argumentieren. Wie auf jeder Familienfeier, ist auch dieses Mal wieder einiges an Wein geflossen, weshalb es früher oder später zu breiten und lauten Diskussionen kommen musste. Doch diese gerade nehme ich persönlich – denn die spitzen Kommentare sind auf ein ganz konkretes Ziel ausgerichtet – mich.
Ich atme tief durch, versuche mich zu fassen, doch die Wut baut sich – wie bei jeder Familienfeier – langsam aber sicher in mir auf. “Ich mein ja nur.”, grinst mein Onkel in das Weinglas hinein. “Wenn plötzlich alle schwul wären, wäre die Menschheit in ein paar Generationen ausgestorben.”
“Damit wäre wenigstens ein Problem beseitigt.”, brumme ich in mich hinein und fange lautstark an den Tisch abzuräumen. Der Garten, in dem meine Großfamilie gerade den Schulabschluss meines kleinen Bruders feiert, hat bereits, neben dem Duft von Blumen und frisch gemähten Gras, den Geruch von verschütteten Bier und überquellenden Aschenbechern angenommen. Während ich mich hindurch kämpfe und dabei tunlichst versuche einem nach dem anderen wilden Meinungsaustausch auszublenden, packt mich plötzlich die Hand meiner Großtante. Ihre rotbemalten Lippen lächeln mich sanftmütig an, während sie mich auf den freien Platz neben sich zieht. “Wie geht’s dir meine Liebe?”“Ich hab ein paar Schwierigkeiten damit nicht in einen Schreikrampf zu verfallen, aber sonst gut.”
Sie lächelt mitfühlend, nachdem sie sich in ihrem Klappstuhl zurückgelehnt hat und eine bequeme Position gefunden hat. “Hab ich dir schon Mal die Geschichte zwischen unserer Familie und mir erzählt?”“Wovon sprichst du?”“Als ich in deinem Alter war, habe ich das erste Mal verkündet, dass ich anders bin als sie alle. Ich hatte das Bedürfnis ihnen mein wahres Ich zu zeigen. Leider hatten sie das Gefühl damals nicht und der Tag gilt bis heute als schwarz angestrichen im Kalender. Wenn du irgendeine Menschenseele hier danach fragst, wird dir jeder nur sagen, dass sie keine Ahnung mehr davon hätten.”“Aber regt dich das nicht auf? Warum kommst du überhaupt noch zu diesen Feiern?”“Es ist Familie.”, sie nimmt einen tiefen Schluck von ihrem Glas. “Und der Wein ist jedes Jahr einwandfrei.”
Mein Handy in der Hosentasche vibriert – eine Nachricht von meiner Freundin, die danach fragt wie es läuft. Ich würde sie gerne endlich mal mitbringen, doch die Angst vor meiner Familie ist einfach zu groß.
“Was hast du ihnen damals erzählt?”“Genau dasselbe, was du ihnen sagen möchtest, meine liebe Nichte.”, sie zwinkert mir wissend zu, bevor sie sich aus ihrem Stuhl erhebt und auf die Suche nach der nächsten Weinflasche geht. Mein Blick gleitet gen Himmel und ich stelle mir vor, wie sich diese einzelne einsame Wolke dort oben fühlen muss. Allein, irgendwo über dem Regenbogen. Vielleicht bin ich näher dran als ich es mir wünsche und doch ferner, als ich glaube.
© kurzgeschrieben 2022-08-20