Ich stand an der Nordküste von Irland und musste mich kneifen. Bin ich in Irland, in Schottland oder schon in Island? Alles sieht so „gleich“ aus. Man meint, irgendwann hätte alles zusammengehangen. Die Landschaften ähneln so sehr, dass man meinen könnte, im jeweiligen anderen Land zu sein. Riesige Gesteinsformationen, Basaltblöcke, senkrecht aufgerichtet oder seitlich gekippt geben den Landschaften ein einander ähnelndes Profil.
Irland sieht im Norden ähnlich wie Island aus, aber während sich Island durch vulkanische Aktivitäten erst vor 100 Mio. Jahren entwickelt hat – sich erdgeschichtlich in der Pubertät befindet – ist das bei Irland ganz anders.
Irland kam aus dem Süden – ganz aus dem Süden – etwa vom Südpol. Vor ca. 600 Mio. Jahren hat sich die irische Landmasse in zwei Teile zertrennt: Eine Hälfte lag im östlichen Teil des Urozeans Lapetus, die andere in dessen Westhälfte. Beide Teile befanden sich auf dem Breitengrad des heutigen Südafrikas. 50 Mio. Jahre lang drifteten beide Hälften aufeinander zu und vereinigten sich.
Vor 400 Mio. Jahren versank Irland erstmal mit Nordwesteuropa in einem warmen, kalziumreichen Ozean und formte Korallenriffe. Die wurden später zu Kalkstein, aus denen heute mehr als die Hälfte der Insel besteht.
150 Mio. Jahren später war Irland schon auf Höhe des heutigen Nordafrikas, hatte Wüstenklima und versank erneut im Ozean. Vor 65 Mio. Jahren begannen seine Vulkane zu arbeiten, um dann vor 25 Mio. Jahren etwa an der heutigen Position anzukommen. Unmengen Basalt-Lava sind im Laufe der vielen Millionen Jahren entstanden. Das Basaltgestein findet man heute im Osten von Grönland, an den Färöer Inseln und im Westen von Schottland. Es ist dort entstanden, wo heute Island liegt.
Und es gab in der Frühzeit eine Festlandverbindung zwischen Europa und Amerika. Man konnte also von Schottland bis nach Grönland wandern – einfach über die vielen Basaltsteine, die durch die zahlreichen Eruptionen entstanden sind – sogar bis zu dem Ort, wo sich heute Island befindet. Viele Tiere sind auf diesem Wege ins jetzige Island gekommen.
Und zu dieser Zeit lebten dort Riesen.
Da ist der irische Riese, der im Streit mit seinem schottischen Gegenspieler lebt. Er macht sich eines Tages auf den Weg, knallt Steine ins Wasser und stapft nach Schottland. Will den Schotten kräftig verhauen. Staunt dann aber nicht schlecht, als er den dortigen Vertreter seiner Zunft erblickt: sehr viel kräftiger und größer. Ihm wird ganz mulmig, er flieht zurück nach Irland. Der Schotte, nicht faul, hinter ihm her – die Steine liegen ja im Wasser. Das aber will die Frau des Iren nicht zulassen, verkleidet ihren Mann schnell als (Riesen)-Baby. Als der Schotte das sieht, bekommt er Angst: „Wenn in Irland schon die Babys wie Riesen aussehen!?“ Eilig rennt er zurück – verliert seinen Schuh, und die irische Riesin schickt ihm noch Spottlieder auf ihrer Orgel hinterher.
Schuh und Orgel konnte ich in Giant’s Causeway in Irland bestaunen.
© Heinz-Dieter Brandt 2020-08-07