Isa, ich bin schwul!

Isabella Maria Kern

von Isabella Maria Kern

Story

Richard, 2008

Richard hörte man schon von Weitem lachen als er mit ein paar Kolleginnen den Aufzug verließ und auf die Station kam. Seine Haare waren zerzaust, er war blass, und ich vermutete richtig: er kam direkt aus einer Bar.

„Richard, das kannst du nicht machen!“, tadelte ich ihn, als wir alleine waren, „du hast zwölf Stunden Dienst!“ Ich kam mir spießig und altklug vor und ich musste einsehen, dass er fünfzehn Jahre jünger war als ich und eine durchwachte Nacht leichter wegstecken konnte.

„Wo warst du denn?“, fragte ich schließlich neugierig und er zerrte mich lachend am Arm in die Stationsküche, wo er schnell die Tür hinter uns zuzog.

„Ich habe jemanden kennengelernt“, rief er so laut, dass er die Tür auch offenlassen hätte können. Dabei sah er mich ungeduldig an und wartete darauf, dass ich etwas sagte.

„So?“, fragte ich also neugierig und war wirklich gespannt.

„Er heißt Armin“, sagte er schnell, diesmal etwas leiser und wartete gespannt auf meine Reaktion, während er schmunzelnd und unsicher seine Hände knetete.

„Alles klar“, sagte ich lachend und bekam das bestätigt, was ich von der ersten Begegnung an vermutet hatte. Richard war schwul.

„Isa, ich glaube, ich bin schwul“, sagte er unsicher und bekam rote Wangen. „Ja, ja, das glaube ich auch!“, schmunzelte ich. Er lächelte und verdrehte belustigt seine Augen, während er weiterhin nervös mit seinen Fingern spielte.

„Findest du das schlimm?“, fragte er mich und bohrte seinen Blick in meinen Augen fest. Lachend schüttelte ich meinen Kopf! „Nein, überhaupt nicht, Richard! Es war mir von Anfang an klar, dass du schwul bist“, ich musste herzhaft über seinen Gesichtsausdruck lachen. Er sah mich an wie ein Kind, das den Lichtschalter entdeckt hatte und merkte, dass das Licht nicht durch Zauberei anging.

Den ganzen Tag lief er hinter mir her, um mir bei jeder Gelegenheit zu erzählen , wie „süß“ der Armin war. Richard war entzückend. Diese kindliche Freude, diese Neugierde auf das Unbekannte. Er war verliebt.

Richard war gerade einmal fünfundzwanzig Jahre alt und mir war klar, dass er noch nie eine Beziehung hatte, geschweige denn jemals verliebt war.

Ich lernte Armin in einen der folgenden Nachtdienste kennen. Richard wollte ihn mir unbedingt vorstellen und Armin brachte ein paar leckere Sachen zu essen mit. Er war etwas größer als Richard, aber nicht minder zart im Körperbau und ebenso entzückend wie mein Richard. Ich gönnte den beiden das „Verliebtsein“ von ganzem Herzen.

Richard bewohnte in der Nähe des Krankenhauses eine kleine Garcionnerre, die ich in den sieben Jahren, in denen er dort wohnte, nie betreten durfte. Er hatte diesbezüglich eine etwas seltsame Art, aber ich akzeptierte es, wie so vieles an seiner ganzen schrillen Persönlichkeit.

Alleine Armin war es nach mehreren Wochen gestattet Richards kleines Reich zu betreten, was mich, zugegebenermaßen, dennoch wunderte. Aber es war so.

Armin war seine erste große Liebe.

Photo by Stanley Dai

© Isabella Maria Kern 2019-06-25

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