Eines war mir sehr schnell klar. Egal, was passieren würde, ich dürfte mich auf gar keinen Fall mit diesem Coronavirus infizieren. Damals gab es nur wenige Daten über Infektionen in der Schwangerschaft, aber es schien so, als wäre es weder für Mutter noch Kind schädlich. Und dennoch. Ich musste gesund bleiben. Zumindest bis das Baby geboren und nicht mehr komplett von mir abhängig sein würde.
Und genau an dieser Stelle ging der Spuk in meinem Kopf los. Ich liege auf der Intensivstation. Ich will mein Baby stillen. Das geht natürlich nicht. Ich wäre zu schwach. Die Muttermilch wäre verseucht von Medikamenten. Würde ich dort abpumpen können, damit ich nach meiner Genesung weiterstillen könnte? STOP. So darf ich nicht denken.
Aber mein absolut schmerzhaftestes Horrorszenario war das noch gar nicht. Denn das begann schon vor der Geburt. Mein Mann steckt sich im Krankenhaus bei einem Patienten an. Er weiß es nicht. Er kommt nach Hause. Er steckt mich an. Ich muss zur Entbindung in ein anderes Spital. Eines eigens für „COVID-19-Gebärende“. Meine Hebamme darf nicht mitkommen. Mein Mann darf nicht mitkommen. Und nach der Geburt wird mir das Kind abgenommen. Damit ich es nicht anstecke.
Diese Gedanken wiederholten sich. Jedes Mal stieg die blanke Panik in mir hoch. Dass es einen Umstand geben könnte, in dem man mir mein Baby wegnimmt. Dass ich irgendwo im Unbekannten, alleine, ohne meinen Mann mein Kind zur Welt bringen müsste. Ich versuchte zu recherchieren, wie alles gehandhabt wurde. Und es war tatsächlich so. Da die Babys ja gesund zur Welt kämen, wurde in einigen Kliniken der Kontakt zu der Mutter nicht erlaubt. Manche Kliniken würden gestatten, dass die Neugeborenen in Inkubatoren neben ihrer Mama liegen. Ohne Bonding und ohne Stillen. Es gab Kliniken, in denen wurde sogar von vornherein zum Schutz des Personals ein Kaiserschnitt durchgeführt. Das muss man sich mal vorstellen. Ich war völlig fassungslos. Niemals in meinem Leben würde ich das erlauben. Aber hatte ich überhaupt noch die Entscheidungsmacht darüber?
Ich fühlte mich regelmäßig kurz vorm Durchdrehen. Ich war eine gesunde Schwangere, ich sollte mich entspannt auf die Geburt und das Wochenbett vorbereiten und mir keine solchen Gedanken machen müssen. Ich brauchte einen Plan. Niemand nimmt mir mein Baby weg. Das war fix.
Wir hielten uns strikt an die Bestimmungen im Lockdown, um die Infektionsgefahr zu verringern. Aber wie witzlos war das, wenn mein Mann direkt auf einer Corona-Intensivstation arbeitete? Er versuchte sein Bestes, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren. Er kaufte sich extra Schuhe zum Betreten der betroffenen Zimmer. Er sah sich Einschulungen zum An- und Ausziehen der Schutzkleidung an – denn dabei steckte sich das Personal wohl am häufigsten an. Er war stets zuversichtlich und versuchte, mich zu beruhigen. Ich dagegen hielt Abstand und hörte auf, ihn auf den Mund zu küssen.
© Sandra Elisa Haiden 2021-07-29