Ist die Lady ein Luder?

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Ich habe eine Leidenschaft, derer ich nicht überdrüssig werde. Ich grabe nach Wurzeln, die nicht in der Erde stecken. Die Finger mach‘ ich mir nicht dreckig, ich brauche sie fürs Umblättern. Womit ich mich beschäftige, von den Dingern gibt es viele, Google sagt: 300 000. Ich habe für mein Leben ausgesorgt.

Sie werden nicht weniger, im Gegenteil. Sie überschwemmen uns. Flüchtlinge sind‘s nicht, denn sie leben gleichzeitig an mehreren Orten. Wenn wir in der Geschichte zurückschauen, dann kamen sie meist in Wellen. In der Alamode-Bewegung im 17. Jahrhundert kamen sie aus Frankreich, die ganze Sippschaft, Cousin, Cousine, Onkel, Tante und vertrieben Vetter, Base, Oheim und Muhme. Auch in der Mode (à la mode) hatten sie die Nase vorn und brachten Teint, Toupet, Taille.

In den letzten 100 Jahren kommen sie scharenweise aus dem englischsprachigen Raum und dringen in die deutsche Sprache ein. Allein in den vergangenen Wochen wurden Homeschooling, Shutdown und Corona-Tracking aufgenommen.

Das Geheimnis ist gelüftet. Meine Leidenschaft gilt den Wörtern, ihrer Herkunft, ihrer Ursprungsbedeutung. Damit beschäftigt sich die Etymologie. Die Wörter sind wie ein Schatz, den ich horte.

An dieser Stelle muss es heraus. Die Pluralform „Wörter“ ist vom Aussterben bedroht. Solange jedoch das Wörterbuch Stichwörter, darunter auch Fremdwörter, enthält, habe ich Hoffnung, dass der Plural „Wörter“ überlebt. Worte sind meistens erklärend oder tröstend. Da es dazu mehrerer Wörter bedarf, sind Worte fast immer Sätze.

Zurück zu den Wörtern! Nehmen wir Josef Geislers Luder-Sager als Anlass für ein Word-Tracking. Abgesehen davon, dass der Kontext und die Epitheta (süßes oder unverschämtes Luder) ausschlaggebend sind, wie ich ein Wort auffasse, kommt das Luder ursprünglich aus der Sprache der Falkner. Mittelhochdeutsch luoder bedeutet „Lockspeise, Köder“, luodern „schlemmen“. Heute ist Luder als Aas zum Anlocken von Raubwild in der Fachsprache der Jäger noch in Verwendung. Ganz gesichert ist die Etymologie nicht, aber vermutlich steht Luder im Ablaut zu althochdeutsch ladōn „herbeirufen, vorladen, anlocken“. Wir haben es also mit einer massiven Bedeutungsverschlechterung zu tun.

Bei der Lady liegt der Fall anders. Im Altenglischen bedeutete das zusammengesetzte Substantiv hlǣfdige „Herrin“, aber ursprünglich schwitzte sie in der Backstube als „Brotlaib-Kneterin“, denn hlǣf entspricht unserem Laib (englisch loaf), dige hängt mit altenglisch dāg (dough) und Teig zusammen. Auf dem Weg zum Neuenglischen ist hlǣfdige zu lafdi/lavdi/laddy/lady verschliffen worden. She’s a Lady, habe ich Tom Jones im Ohr.

Apropos dough: In den letzten 15 Jahren haben die mit Glasur und Zuckerstreusel dekorierten Donuts mit dem Loch in der Mitte den heimischen Markt erobert. Wortwörtlich sind doughnuts „Teignüsse“, wobei englisch nut auch die Bedeutung „Schraubenmutter“ trägt, und so einer ähneln sie frappant. Mahlzeit!

© Sonja M. Winkler 2020-06-11

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