Ist Müßiggang ein Laster?

JanGroenhain

von JanGroenhain

Story
Korsika 2023

In Kolonnen und laut donnernd rollen die Laster über die Autobahn, Tag und Nacht, kennen keinen Müßiggang.

Müßiggang steht gemeinhin für Untätigkeit und Faulheit. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“, sagt eine alte deutsche und recht belehrende Redensart, die beinahe wie eine Drohung klingt. Auch Martin Luther hat den Müßiggang verurteilt. „Dolce far niente“, sagen etwas abgewandelt die Italiener. Das klingt ganz anders und ist doch etwas Ähnliches. Denn das riecht nach Süden und Meer, weckt Sehnsüchte.

Seit mehr als einer Stunde verweilen wir schon beim Frühstück, sind dem Mittag schon näher als dem vergangenen Morgen. Alles hier ist liebevoll mit französischem Flair dekoriert, fein abgestimmt und erfreut das Auge. Ganz entspannt sitzen wir auf der Terrasse des kleinen Hotels in der wärmenden Morgensonne und brunchen vor uns hin. Direkt unter uns branden die Wellen ans Ufer, ab und zu verirrt sich ein salziger Gischtspritzer nach oben und vermehrt noch den Geruch nach Meer. Die Wellen sind nicht recht hoch, doch genug für ein beruhigendes, wiederkehrendes Rauschen, das sogar das Gespräch vom Nebentisch verschluckt. Unsere Blicke schweifen immer wieder über den endlosen blauen Horizont. Die wenigen Gäste auf der Terrasse haben alle ein ansteckendes, genießerisches Lächeln im Gesicht, fühlen wohl ähnlich. Alles geht sehr entspannt vonstatten. Ein Schwimmer zieht elegant seine Längen quer durch die Bucht. Es scheint, als würde er sich kaum anstrengen müssen. Andere breiten ihre Decken am Strand aus, ölen gemächlich ihre Körper ein und bringen dieselben in die Horizontale. Kinder freuen sich am Spiel mit dem anströmenden und sich zurückziehenden Wasser. Keine laute Musik, kein Lärm, nichts außer dem Meeresrauschen ist zu hören.

Rückblende. Stressige und durchgeplante Wochen liegen hinter uns. Kaum Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Zu viele Termine und Verpflichtungen. Da war die Sehnsucht nach Urlaub und Auszeit schon ziemlich groß. Darum bleibt nach der Ankunft das Auto acht Tage völlig unberührt. Dafür entsteht der Plan, möglichst keinen Plan zu haben, einfach in den Tag hineinzuleben und sich treiben zu lassen. Das Handy bleibt (fast) unberührt und eingehende Anrufe werden einfach ignoriert. Am Nachmittag steigen wir auf das E-Bike und radeln einige Kilometer zu einem abgelegenen Strand, um dort in Muße dem Müßiggang weiter zu frönen. Da Sonne und Meer ermüdet steht später im Hotel noch ein Entspannungsschlaf auf dem Programm. Unser abendliches Ziel ist eines der naheliegenden gepflegten Restaurants im Dorfzentrum. Meeresfrüchte stehen auf der Karte und bei uns das Verlangen danach. Ein Glas Wein dazu erfreut Gaumen und Seele. Am Horizont senkt sich langsam und orangerot die Sonne, sendet noch Spiegelungen über das Meer, bevor sie entschwindet. So fällt es schwer, sich Stunden und einige Gläser später wieder aus dem Müßigsitz zu erheben und anschließend zufrieden ins Hotelbett zu fallen. „Dolce far niente“ in seiner besten Form und kein Gefühl, dabei einem Laster anheimgefallen zu sein.

Tage später geht es auf der Straße wieder zurück ins Jetzt. In Kolonnen und laut donnernd rollen die Laster über die Autobahn, Tag und Nacht, kennen keinen Müßiggang.

© JanGroenhain 2023-10-12

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Unbeschwert, Entspannend
Hashtags