von Jana Puschmann
Ich hatte eine schöne Kindheit. Und eine, die anders war als die der anderen. Denn wenn ich von der Schule heimkam, wartete zu Hause mein Papa. Mama war arbeiten. Das ist heute noch nicht die Regel. Aber damals – ja, damals war es eine Rarität, etwas Exotisches, etwas Seltsames, etwas, wo andere nachhakten. „Wie, ein Hausmann?“ Bestimmt wurde mein Papa oft belächelt. Hält sich doch hartnäckig das Bild des mit den Kindern Zuhausegebliebenen, der morgens frei hat und nachmittags ein bisschen spielt. Bestimmt wurde auch meine Mama oft verurteilt. „Wieso bleibt sie nicht bei ihren Kindern?“, „Die brauchen doch ihre Mutter!“
Ich bewundere meine Eltern. Dafür, dass sie einen anderen Weg gegangen sind. Und ich bewundere meinen Papa. Dafür, dass er sich durch das Meer von Müttern gekämpft hat. Zum Kindergarten, zur Schule, zum Einkaufen, zu Arztbesuchen. Kein Wunder, dass ich ein Papakind gewesen bin! Alles musste Papa machen. Auch wenn Mama da war. Jacke zumachen, abends eine Geschichte vorlesen, das Butterbrot in Stückchen schneiden. Aber es war auch so schön mit Papa. Er konnte Buden bauen. Er konnte Mehl auf dem Küchentisch verstreuen, damit der Spielzeugbagger was zu tun hatte. Er konnte so lustig sein. Und er konnte mein Lieblingsessen kochen. Italienischen Nudelauflauf.
Heute weiß ich, dass Mama die viel bessere Köchin ist und war, aber dieses Rezept – das schmeckte nur von Papa. Am besten war die oberste Schicht. Krosse Nudeln unter zerlaufenem Käse, darüber gestreut italienische Kräuter. Schon an der Haustür roch es nach Thymian und Rosmarin und Oregano. Papa ließ mich aber nicht nur die oberste Schicht essen. Von der wollten alle etwas abhaben. Also aß ich auch die untere. Hier waren die Nudeln weicher. Wenn es Rigatoni waren, hatte sich die Soße ihren Weg durch den Nudeltunnel gesucht. Oft war es noch viel zu heiß, um zu schlingen. Und so manches Mal verbrannte ich mir den Gaumen. Aber es war ja so köstlich. Zwischendrin vereinzelt Tomaten. Die hätte ich pur nie gegessen. Aber im Auflauf, da war das etwas anderes.
Später, als ich studierte, habe ich einmal versucht, den Nudelauflauf in meiner WG nachzukochen. Es ist ein simples Rezept und ich kann kochen. Aber es gelang trotzdem nicht. Das Essen war nicht verdorben – es schmeckte. Aber es schmeckte auch irgendwie nicht. Es hatte die falsche Person gekocht. Die geheime Zutat „Papa“ fehlte. Ich war enttäuscht. Am liebsten hätte ich ihn angerufen und gebeten, mir eine von ihm zubereitete Portion vorbeizubringen. Aber ich war ja nicht mehr klein.
Jetzt habe ich den Auflauf über zehn Jahre nicht mehr gegessen. Vielleicht bitte ich Papa eines Tages, dass er ihn noch einmal für mich kocht. Damit ich noch einmal zur Haustür laufen kann, die Nase schnuppernd voraus – auf der Suche nach italienischen Kräutern, geschmolzenem Käse und frischen Tomaten. Um dann am Küchentisch die krosse obere Schicht zu probieren und wieder einzutauchen in meine glückliche Kindheit – mit Papa zu Hause.
© Jana Puschmann 2022-08-23