…it’s oceanblue (3)

Alina Loch

von Alina Loch

Story

An der nächsten großen Kreuzung trennen sich unsere Wege.

Titus hebt die Hand zum Abschied, ich tue es ihm nach, dann wende ich mich nach links, während er weiter geradeaus geht.

Der Himmel ist grau und verschwimmt mit den umliegenden Häuserschluchten, während mich meine Füße, wie von allein, die drei Querstraßen weitertragen. Dort betrete ich die nächste Schleuse, Karens leicht genervte Computerstimme begrüßt mich und bittet mich um einen Moment Geduld, während die unterschiedlichen Sensoren im Raum meinen Gesundheitszustand scannen.

Als Kind hatte mir nichts mehr Angst gemacht, als allein mit der Computerstimme in einem der winzigen Räume eingeschlossen zu sein. Irgendwann hatte meine Mutter sich mit mir Namen für sie ausgedacht und gemeinsam hatten wir uns Geschichten für sie überlegt, wer sie wohl waren und was für Leben sie führten…

Mittlerweile war die Angst gänzlich verflogen, aber ich vermisste meine Mutter, wann immer ich eine der Computerstimmen hörte, und mit dem feinen Desinfektionsnebel besprüht wurde, um eines der Gebäude zu betreten.

2 Minuten später betrete ich das helle Foyer, nehme die Maske ab, verstaue sie mit meinen restlichen Sachen in einem der Schließfächer, begrüße Donald vom Empfang mit einem Nicken und gehe dann in Richtung Aufzüge.

Ich bin allein, während sich die kleine Kabine nach oben bewegt. Es gibt nur wenige Leute, die heute noch Orte wie diesen besuchen, vielleicht ertragen sie es nicht…

Ein „Pling“, die Tür öffnet sich, ich trete durch den schwarzen Vorhang in tiefes Blau und nehme den ersten tiefen Atemzug dieses Tages.

Die Blautöne verschlucken mich, während sich das Rauschen, wie Watte auf meine Ohren legt und meine Gedanken zum Schweigen bringt. Ein Schwarm silberner Heringe schwimmt auf Kopfhöhe an mir vorbei. Ich laufe noch ein Stück weiter, bis zu meinem Lieblingsplatz, dort lege ich mich auf den weichen Boden, sinke ein und lasse mich von den Geräuschen des Meeres verschlucken, während meine Augen die bunten Fische fangen, die über mich hinwegschwimmen. Und dann kommen sie.

Unendlich groß, blau und wunderschön. Ihr Gesang durchflutet mich, während sie über mich hinweggleiten, Mutter und Kalb, so nah, dass sich ihre Flossen beinah berühren. Eine einzelne Träne läuft über meine Wange, während ich mit einem Lächeln auf den Lippen meine Finger nach ihnen ausstrecke. Als sie den Bauch des Wales berühren zerstreut sich das Licht in abertausende Partikel und zerstören so die täuschend echte Projektion über mir. Ich hasse diesem Moment und fragte mich immer, ob es sich für die Menschheit ähnlich angefühlt hatte, als die Nachrichten verkündeten, dass die Meere offiziell leer waren. Ob sie auch ihre Hände angestarrt hatten, sich fragend, was sie nur getan hatten und wie etwas so Kleines alles hatte zerstören können.

Langsam senke ich die Hand, die Partikel fliegen, setzen sich wie Puzzelteile zurück an ihre Stelle und ich gebe mich wieder der perfekten Illusion hin.

© Alina Loch 2022-08-30

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