IV

Marietheres Kumpf

von Marietheres Kumpf

Story

Ich zuckte mit den Schultern, als Jakob sich zu mir stellte und mich nach meiner Meinung zu dem Tabak befragte. Es war ein schlechtes Thema. Ich hatte Peter eine Zigarette geklaut und er hatte es mitbekommen. Nach dem heutigen Tag war meine Gier einfach zu groß geworden und als Peter damit angefangen hatte, dass er sich ja nur um meine Gesundheit sorgte, war ich vollends ausgerastet. Seine Moralpredigt war mir wie eine faule Ausrede vorgekommen und ich hatte die Flucht ergriffen. Seit mehreren Stunden lungerte ich auf der Straße herum, ohne zu wissen, ob ich heute nach Hause zurückkehren würde.

Ich steckte die Hand in meine Jackentasche und drehte die Zigarette zwischen den Fingern. Noch hatte ich die Kraft, sie nicht anzuzünden. Sie war nur eine Trophäe. Trotzdem dachte ich darüber nach, sie mir für einen besonderen Moment aufzuheben. Wer wusste schon, ob es nicht doch mal etwas zu feiern geben würde, auch wenn ich nach heute nicht viel Hoffnung hatte.

Jakob lehnte sich, wie ich, mit dem Rücken an die Wand. Sobald es dunkel wurde, war in der Stadt nicht mehr viel los. Das einzige Licht, das es gab, waren ein paar Feuer in Tonnen, die hin und wieder jemand entzündete. Aber das geschah nur auf den größeren Straßen. Jakob und ich hatten uns in eine Gasse zurückgezogen, in der es keine Lichtquelle gab. Sie wurde indirekt durch ein Feuer auf der Hauptstraße beleuchtet. Auf der gegenüberliegenden Häuserwand zuckten die Schatten der Flammen. Früher, als wir noch Kinder gewesen waren, hatten wir uns dazu Geschichten ausgedacht. Über längst vergangene Zeiten und die Zukunft. Aber inzwischen hatten wir begriffen, dass das zwei Ebenen waren, die keinen Wert hatten. Sie waren unerreichbar. Also standen wir nur da, betrachteten das Schattenspiel und schwiegen uns an.

„Familie Quell ist weg.“ Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter.

„Wie kommst du darauf?“

„Ich habe es in der Fabrik erfahren.“

„Die sind nicht weg.“ Jakob schüttelte den Kopf und stieß die Luft aus, als würde er sich über mich lustig machen. Ich zog die Augenbrauen zusammen. Müsste ich es nicht besser wissen als er? Schließlich war ich bei ihnen angestellt.

„Ich habe sie heute erst gesehen. Die sind noch hier.“ Jakob sah mich direkt an und verzog dabei keine Miene. Er meinte es ernst.

„Wo?“

„Hier in der Gasse.“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. „Na, wo wohl? Dort, wo sich alle Schnösel aufhalten.“

„Wie willst du das gesehen haben? So jemanden wie uns würden sie niemals in die Altstadt lassen.“ Jakob und seine Geschichten. In die Altstadt kam man nur, wenn man sich ausweisen konnte. Die alte Stadtmauer war wie zu alten Zeiten wieder hochgezogen worden. Sie trennte diejenigen, die sich ein gutes Leben noch leisten konnten, vom Rest. Von Leuten wie Jakob, Peter und mir.

Jakobs Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Es sah aus, als würde er mich gleich in eine Verschwörung einweihen.

© Marietheres Kumpf 2022-08-31

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