von Monika Schuster
Als Siebtklässlerin war ich in den hübschen Patrick verknallt. Aus der Ferne schmachtete ich ihn an, der sich nicht die Bohne für mich interessierte. Mehr Aufmerksamkeit widmete mir mein Mitschüler Benjamin. Während einer Schulstunde schrieb er mir auf mein helles Schlampermäppchen: „Du kannst alles, wenn du nur willst.“ Bekannt war er als Klassenclown, der freche Antworten auf Lehrerfragen gab, sich an Streichen beteiligte und sowieso nichts ernst zu nehmen schien. Sein schelmisches Lächeln spiegelte sich in seinen blauen Augen wider.
In den Pausen hielt ich mich mit meinen Freundinnen oft in Patricks Nähe auf. Einmal bemerkte ich, dass Benjamin auf Patrick und seine Freunde zuschlenderte. Worüber sie sich wohl unterhielten? Ich glaube, sie spielten im gleichen Fußballverein. Plötzlich blickte Patrick in meine Richtung. Mir stockte der Atem. Später grüßte mich mein Schwarm im Vorbeigehen, was ich minutenlang mit meinen Freundinnen analysierte. Bis heute weiß ich nicht, was Benjamin gesagt hat.
Am Morgen nach Bodyguard erzählte mir Benjamin ausführlich und mit vollem Körpereinsatz die letzte halbe Stunde des Films. Dank meiner Eltern hatte ich das Ende verpasst, weil ich mich pünktlich um 22 Uhr bettfertig machen musste. Trotzdem war ich erst spät eingeschlafen, weil ich mir im Kopf mögliche Schlussszenen ausgemalt hatte.
Im Frühling schenkte mir Benjamin eine Überraschungsei-Figur: Bill Body, der “Super” Sportler chillt im Fußballtrikot auf dem Rasen. Sein ovaler Kopf ruht auf einem Fußball und Blumen. Auf der Unterseite notierte ich damals Benjamins Namen mit wasserfestem Fineliner. Es war mir zu jedem Zeitpunkt egal gewesen, dass ich dadurch die Figur niemals würde verkaufen können.
Kurz vor den Sommerferien übermittelte mir Benjamin eine Nachricht. Der Zettel war zusammengefaltet und mit meinem Namen versehen von zahlreichen Händen weitergereicht worden, vorbei am wachsamen Blick unserer Englischlehrerin. Auf einem karierten Stück Papier, das er aus einem Heft herausgerissen hatte, stand in krakeliger Schönschrift:
Willst du mit mir gehen?
[ ] Ja
[ ] Nein
[ ] Vielleicht
Ich habe Vielleicht angekreuzt. Im Herbst wechselte Benjamin auf ein Sportinternat.
Im nächsten Schuljahr organisierte meine Klasse einen Crepes-Stand auf dem Sommerfest. Unser Tisch war bald ein Chaos aus trocknenden Teigresten, butterigen Fingerabdrücken und Zuckerkrümeln. Über allem lag der Duft nach Erdbeermarmelade und Nussnougat. Irgendwann entfernte ich mich für eine Atempause von dem Besucherstrom. Ich schwitzte seit Stunden und strich mir eben eine Strähne mit einem fettigen Finger hinters Ohr, als ich Benjamin bemerkte. Unser Wiedersehen hatte ich mir anders vorgestellt. Erste Scheu wich einem lockeren Gespräch. Als ich ihn zum Abschied umarmen wollte, küßte Benjamin mich auf die Wange.
© Monika Schuster 2021-04-11