Jack

von Christine Kämmer

Story

„Wage es ja nicht, die Dinger zu berühren!“ Das ist das erste, was mein Gastvater Jack zu mir sagt. Ich bin sechzehn und frisch eingetroffen zu meinem Auslandsjahr in einem 2000-Seelen-Kaff im Mittleren Westen. In der Nähe von Detroit, wo ein Vierteljahrhundert später die Mehrheit Trump wählen wird. Noch glaube ich, Bush Senior und sein Krieg um Öl seien das Schlimmste, was uns passieren konnte.

„Denk nicht mal dran. Hast du mich verstanden?“, schärft er mir ein. Ich nicke. Niemals würde ich mich freiwillig seinem Vitrinenschrank im Wohnzimmer nähern. Hinter einer Glastür hängen sie, aufgereiht und blankpoliert: Jacks Jagdgewehre. Jagdhund Jason liegt zu seinen Füßen und zerfleddert einen Knochen. Ich weiß nicht, wovor ich mich am meisten fürchte. Vor Jack, vor Jason oder vor den Jagdgewehren.

„Vegetarierin bist du also? Haha! Da habe ich was für dich.“ Jack öffnet die Gefriertruhe und zeigt mir die Ausbeute seiner letzten Jagd. Gefrorene Fleischbrocken, in Plastikfolie eingewickelt. An der Kühlschranktür pinnt ein Foto von ihm. Mit erhobenem Gewehr steht Jack neben einem Reh. Es baumelt aufgeschlitzt kopfüber von einem Ast und blutet aus. Ich unterdrücke einen Würgereiz.

„Diese Saudis machen wir fertig!“, ruft er in Richtung Fernseher. Die US-Truppen stürmen die Wüste. Mit Bierdose in der Hand feuert Jack sie dabei an. Gäbe es Fox News schon, würde er den Sender in Endlosschleife schauen. Der Bildschirm ist sein Fenster zur Welt. Es gibt keinen Computer. Kein Smartphone. Kein E-Mail. Kein Zoom. Kein Social Media. Wir schreiben das Jahr 1991. Mein Luftpostbrief nach Hause ist eine Woche unterwegs.

Irgendwann ruft er an. Endlich. Ich schluchze in den Telefonhörer. Sie streiten sich eine Stunde lang, Papa und Jack, der Pazifist und der Militarist, für fünf D-Mark pro Minute aus dem deutschen Festnetz. Wenige Tage später holt mich jemand ab und bringt mich in meine neue Gastfamilie.

© Christine Kämmer 2020-10-01