von Beate-Luise
Paris, wo ich mich in jungen Jahren fast ein Jahr aufgehalten habe, transportierte für mich einen besonderen Spirit. Schwer zu beschreiben. Die Stadt schien aufgeladen mit Erinnerungen persönlicher und literarischer Art, kulturellen und historischen Zeichen und Zitaten, wenn man so will. In diesem berauschenden Lebensgefühl verspürte ich den Wunsch, mir eine Lederjacke zuzulegen. Ich erfuhr, dass ich in einem Quartier, wenn ich mich richtig erinnere, im 3. Arrondissement, zu moderaten Preisen fündig werden könnte.
Tatsächlich reihte sich dort die vollgestopfte Boutique eines Großhändlers an die nächste und ich erwarb eine schwarze Rockerjacke. Meine Vermieterin, eine Lehrerin, sagte, dass es ein „Perfecto“ sei. Der Name erschien mir noch cooler. Der Schnitt war 1928 in New York für einen Harley-Verkäufer kreiert worden.
Der Perfecto wurde so etwas wie meine zweite Haut. Der Verkäufer tat entsetzt, weil ich mich für ein Modell ein oder zwei Nummern zu groß entschied, damit auch ein dicker Pullover darunter noch Platz fand. Mir ist oft kalt.
Die Jacke begleitete mich fortan durch Paris und später wieder durch Hamburg. Im Sommer wie im Winter. An das angeschrägte Revers pinnte ich immer einige Buttons, mit politischen oder albernen Slogans. In meiner letzten Woche in Paris trug ich sie auch im Café de la Plage, einer damals angesagten Bar im 11., wo ich W. traf und mit ihm die Nacht durchtanzte. Ein zwei Meter langer Kerl mit hochstehenden schwarzen Haaren. Im Morgengrauen aßen wir Croissants auf einer Parkbank und knutschten mit krümeligen Mündern. Dann ging ich zu Fuß in die Schule. Die Metro streikte. Es war mein letzter Arbeitstag.
Zwei Jahre darauf in Hamburg fand im Mai am Elbhang auf der Rainvilleterrasse eine Party an der Seefahrtschule statt, zu der Ulla, deren Freund dort studierte (und später Kapitän wurde), mich eingeladen hatte. Mein Outfit: roter Minirock zum Perfecto. Ein fröhlicher, langer Abend mit Grill, Musik und Getanze. An jenem Abend lernte ich meinen späteren Mann kennen.
Wiederum Jahre später, als wir bereits verheiratet und Eltern waren, misteten wir aus Platzgründen Haushalt und Klamotten für einen Flohmarkt aus. Die Rockerjacke hing, noch mit ein paar Stickers am Kragen, exponiert über dem Stand. Schwer wie Blei. Mein Herz hing wohl zu sehr daran. Der einzige Interessent, der sie anprobierte, lachte, als ich versuchte, sie ihm anzupreisen: „Die hab ich Tag und Nacht getragen!“ Er: „Oh Mann, was die wohl alles erlebt hat?!“ Er kaufte sie nicht.
Kürzlich fand ich ein Foto, das meine Mutter in der Lederjacke zeigt. Als Gag natürlich. Dazu eine schwarze Mütze, Sonnenbrille und in einer Hand ein Sektglas. Mit der anderen hält sie lachend den Mittelfinger in die Kamera.
Der Perfecto ging irgendwie verloren, ich weiß nicht, wie und wohin.
© Beate-Luise 2021-03-27