Japanische Haarbändigung

Ikaruz

von Ikaruz

Story

Vor meiner Abreise war ich noch beim Friseur aber mittlerweile ist der Schnitt ausgewachsen und meine Locken kommen wieder durch. Auch mein Bart hat sich die letzten Wochen von einer 3 Tage zu einer Vollbart-wildwuchsversion entwickelt.

Bei einem Besuch von Sanrio World in Ginza, dem Flagship store der bekannten Marke, werde ich auf einen Friseurladen aufmerksam. Die Lichter sind aus und auch der Barberpole hängt bewegungslos am Eingang. Ruhetag, auf Wiederschaun.

Zwei Tage später steh ich wieder hier und werde von einer jungen Frau freundlich hineingewinkt. Ich begrüße mich mit Verbeugung und frage nach einem Cut and Trimm. Ich versuche die Preistafel zu lesen, aber bevor ich es überhaupt bis zur dritten Zeile schaffe, sagt mir die Dame den Preis auf Englisch. Passt.

Sie zeigt auf einen der Stühle und ich nehme Platz. Neben mir wird einer alten Japanerin eine neue Frisur verpasst. Wie alt sie ist, kann ich nicht einschätzen. Die aufgeschlagene Zeitung und die riesige, alte Trockenhaube verhindern einen schnellen Blick und ich will auch nicht unverschämt rübergaffen. Ihr Friseur ist an die 60 und begrüßt mich freundlich.

Die Dame vom Empfang kommt zurück und jetzt wird es spannend. Die nächsten 10 Minuten verbringen wir damit uns in einem Mix aus Englisch, Japanisch und Zeichensprache auf den Haarschnitt und die Bartlänge festzulegen. Auf das Ergebnis sind wir wohl beide gespannt.

Während sie mit dem Haarschnitt beginnt, wird die Kundin neben mir auch schon fertig und aus dem Salon begleitet. Der Friseur kommt zurück, stellt sich hinter mich und beäugt kritisch wie Deckhaar Millimeterweise gekürzt wird. Im Spiegel seh ich die zwei nebeneinander stehen, Vater und Tochter. Sie nimmt eine Locke in die Hand und er zeigt ihr wie sie schneiden soll.

Plötzlich schiebt sich eine kleine alte Frau durch den Vorhang hinter der Kassa – die Oma. Schnurstracks kommt sie auf mich zu, stellt sich neben mich und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie schaut mich über den Spiegel an und klopft mit den flachen Händen auf ihre Wangen “Oooohhh”.

Mein Bart fasziniert sie. Einen Augenblick später entdeckt sie, dass ich Locken habe. Ihre Augen werden noch größer. Ich versteh zwar nicht was sie sagt, aber wie sie es sagt, kommt mir sehr bekannt vor. “Die schönen Locken, die kannst du doch nicht abschneiden”. Dieser Satz begleitet mich schon ein Leben lang, und egal in welcher Sprache, ich verstehe ihn.

Der Friseur kommt zurück, schiebt Obachan (Oma) und seine Tochter zur Seite und verscheucht sie.

Die junge Friseurin übergibt Kamm und Schere, lächelt mich an “The boss will cut the beard”.

Murmelnd bessert er noch die Frisur nach und kümmert sich dann um den Bartrückschnitt.

Beim Zahlen stehen alle drei Spalier‘ an der Kassa. Etwas verlegen entschuldigt sich die junge Friseurin, in gebrochenem Englisch dafür, dass es so lange gedauert hat.

“Wir sind Haare wie Ihre nicht gewohnt.”

© Ikaruz 2021-03-09

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