von Carina Ewers
Donnerstags nachdem der Unterricht vorbei war und bevor die Reinigungskräfte durch die Schule gingen, trafen sie sich im „WC für alle“. Sie hatten herausgefunden, dass es immer als letztes geputzt wurde und das war die halbe Stunde Stille, die sie gemeinsam brauchten.
Jene halbe Stunde, die ihnen pro Woche gemeinsam vergönnt war.
Clemens lächelte als Jaro sich fast lautlos in den Vorraum mit dem Waschbecken drückte und sich hinter ihn stellte. Er legte seine Arme von hinten um Clemens Brust und legte sein Kinn auf dessen Schulter. So konnten sie sich gemeinsam im Spiegel ansehen.
„Wie war deine Woche?“, fragte Jaro und seine graublauen Augen funkelten verschwörerisch dabei. Clemens zog die Schulter ein wenig hoch. „Einsam ohne dich.“
Jaro verdrehte die Augen.
Clemens wusste auch weshalb: Jaro stand nicht so auf solchen romantischen Kitsch. „Es sind ständig Menschen um dich herum“, flüsterte Jaro und küsste Clemens Halsbeuge beiläufig.
„Aber die sind nicht du“, erklärte Clemens und fügte hinzu, bevor er sich zu Jaro umdrehte, um ihn zu küssen: „Und die machen mich nicht so verrückt, wie du.“
Jaro tat so als würde er sich wehren, aber Clemens wusste, dass es nur Show war. Jaro war … ängstlich. Er hatte Angst davor, was die anderen Schüler*innen sagen würden, wenn herauskam, dass sie ein Paar waren. Hatte Angst davor, was seine Eltern sagen würden. Und vermutlich Angst davor seinen Titel als Mädchenschwarm zu verlieren. Jaro sah gut aus. Schon immer war das so gewesen. Schon seit Clemens ihn in der fünften Klasse kennengelernt hatte. Das war auch in etwa der Zeitpunkt gewesen, an dem Clemens begonnen hatte, ihn zu vergöttern. Und der Zeitpunkt, an dem Clemens gänzlich klar geworden war, dass er auf Jungs stand. Im Grunde war es unfair, weil er mindestens vier Jahre Vorsprung vor Jaro mit dieser Erkenntnis hatte. Das wusste er. Trotzdem… manchmal war Clemens ungeduldig. Sie lebten schließlich nicht mehr im Mittelalter. Und Jaro tat ihm so gut… allein, wie er nun in seinen Po kniff… Himmel…
Manchmal war Jaro ganz bei ihm. Ganz bei ihrer Liebe.
Manchmal wirkte er, als würde es ihn selbst erschrecken, was er fühlte. Dann sah er aus, wie ein aufgeschrecktes Reh. Bambi, der gerade seine Mutter verloren hatte, witzelte Clemens oft. Aber er wusste, dass Jaro eigentlich im Begriff war, etwas Gutes zu verlieren (seine Angst) und etwas Brillantes zu finden (seine wahren Gefühle).
Clemens küsste ihn, diesmal fordernder. Wenn ihm vorerst also nur diese halbe Stunde am Donnerstag blieb, musste er zumindest versuchen so viel aus ihr herauszuholen, wie er nur konnte.
© Carina Ewers 2022-08-31