von Carolina Rauh
Ich rieche Alkohol und Speichel aus deinem Mund, als du mir verwirrt zunickst und deine wild verteilten Blätter von dem freien Sitz der Straßenbahnlinie 2 neben dir aus dem Weg räumst. Ich setze mich hin. Meine Augen sind geschlossen, meine Haare fallen sanft auf meine Wangen, auf meine Schulter, als ich meinen Kopf in deine Richtung, zur rechten Seite hin schweifen lasse und mich ganz in diesem Moment verliere. Du riechst so angenehm, ich spüre deine Verzweiflung und rieche deinen Mund. Ich mache die Augen wieder auf und versuche dich so unauffällig wie möglich von der Seite anzusehen. Was machst du da? Du bewegst deine Lippen, du liest und dein nach einer langen Nacht riechender Mund spricht mit. Erik, dein Name, ich kann den Schriftzug erkennen, hingekritzelt am Anfang deines Skripts. Das denke ich nämlich ist es, was du dort studierst. Verzweifelt wirkst du, in den letzten Minuten der Straßenbahnfahrt mit Raucherlunge und Alkohol im Blut, authentisch und so schön versuchst du, deinen Text auswendig zu lernen. Auf einmal drehst du dein Skript etwas mehr zur Seite, sodass meine Augen es nicht mehr erfassen können. Erwischt, denke ich, dass ich nicht einfach bei mir fremden Männern, in die Karten schauen kann. Plötzlich bemerke ich, wie nah wir uns sitzen, wie vertraut wir diesen kleinen Platz in einer überfüllten Straßenbahn liebevoll teilen. Dein Körper sehnt sich nach meinem und du kommst mir näher, deine Knie sind meinen jetzt ganz nah, deine Hände wollen mich berühren. Wenn du die Seiten deines Skripts, in deinem Schose liegend, umblätterst streifen sie meine Beine sanft. Ich schließe nochmal die Augen und stelle mir vor, wie sich deine Finger auf meinem Körper einen Weg zu meinen Wangen bahnen würden und du mich sanft auf mein Augenlid küssest. Ich rieche deinen Duft, ich möchte deinen Lippen näher sein, und wissen, was du gerade denkst. Meine Augen öffnen sich und ich weiß, dass wir uns in wenigen Momenten trennen werden. Ich stehe von meinem Sitz auf und will dich durchlassen, du schaust mich verunsichert an und gestikulierst, du würdest noch nicht aussteigen müssen. Ich bin setze mich wieder und bin verwundert, über meinen Fauxpas, aber glücklich deine blauen, leicht geröteten Augen von der Nacht und dem Alkohol gezeichnet, gesehen zu haben. Ich träume. Meine Knie berühren deine Knie fast, meine Schultern sind deinen sehr nahe, meine Hände nicht weit von deinen entfernt. Nun muss ich scheiden, meine Augen werden dunkler, mein Herz pocht aufgeregt. Ich erhebe mich aus unsere Zone, aus deinem Geruch, der uns umarmt und von den anderen getrennt hat. Drei Minuten Zeit für uns, für unsere Intimität, die mir so behaglich und wunderschön erschien. Mein Rücken sieht dich an, ich bin zu ängstlich, um mich zu dir zu drehen, um zu schauen, was du machst. Mein Mund lächelt, er steckt meine Augen und meine Wangen an, mein Gesicht ist erfüllt von einer Liebelei, die in meinem Kopf stattfand, mit dir, vor drei Minuten. Ich glaube, du hast mir nachgeschaut, ich glaube, du hast ähnliche Gedanken in deinem Kopf gesammelt. Ich wollte dir noch etwas sagen: ,,In den letzten drei Minuten habe ich mich nicht mehr einsam gefühlt, ich habe mich mit dir gesehen, als würden wir gemeinsam zu deinem Auftritt fahren. Danke.“ PS. Ich kann deinem Geruch nicht widerstehen.
© Carolina Rauh 2024-02-11