von neli
Es ist ein milder Frühlingsabend im Mai. Ich liege im Bett meiner Eltern und schaue mir, den Fernseher auf leise geschaltet, gerade eine Quizshow an. Am anderen Ende des Zimmers schlafen meine beiden kleinen Besucher-Neffen tief und fest. Plötzlich fährt ein Windstoß an die Fenster. „Ungut“, denke ich mir, „Wo kommt das denn jetzt auf einmal her?“
Und dann geht es los. Von ganz weit unten vernehme ich eine Art Grollen – tief, bedrohlich, angsteinflößend. Das Bett beginnt zu wackeln und ich sehe die Lampe über mir hin und her schwingen. Alles um mich herum scheint sich zu bewegen und mein Verstand ist im Schockmodus. Die Reflexe funktionieren aber, alle Sinne sind geschärft, und während ich aus dem Bett springe, registriere ich das Knacken und Ächzen der Kleiderschränke und höre im Nebenzimmer Glas zersplittern. Grade will ich den Kleineren der beiden aus dem Bettchen holen, da erscheint auch schon meine Schwester im Türrahmen. Die Augen aufgerissen, schreckensbleich im Gesicht. Sie greift nach ihrem älteren Sohn, und in dem Moment ist der Spuk vorüber. Die ebenfalls herbeigestürzten Eltern räumen die Scherben von zwei heruntergefallenen Bildern auf, als es ein weiteres Mal bebt, wenn auch nicht mehr so stark wie zuvor. Mein Vater vermutet, dass dieses Beben von der Gegend um Friaul seinen Ausgang genommen haben könnte, und er sollte Recht damit behalten.
Ich bin außer mir vor Entsetzen. Mir hat sich gerade aufgetan, wie vernichtbar, wie machtlos, wie klein und nichtig der Mensch ist, wenn die Natur ihren Gesetzen folgt.
Zugegeben, Erdbeben sind keine Folge von Klimasünden. Da verschieben sich Erdplatten, warum auch immer, und richten Katastrophen, Leid und Tod an.
Das, was wir aktuell an Naturgewalten erleben ist allerdings zum Großteil selbstverschuldet und hausgemacht. Wir haben zerstört und ausgebeutet und immer öfter und heftiger schlägt die Natur zurück. Umdenken passiert zu zögerlich bis gar nicht (mir fällt in dem Zusammenhang der oberste Clown aus Amerika ein) und es bedürfte viel öfter eines Erdbebens, so wie ich es im Jahr 1976 erlebt habe. Nicht die bittere Katastrophe, sondern ein Aufgerüttelt werden, und zwar im wahrsten Wortsinn als auch symbolisch, wünsche ich all jenen, die das Bestreben nach respektvollerem Umgang mit der Erde, die uns beherbergt und nährt, als Humbug von irgendwelchen verklärten Spinnern abtun. Ein Beben, das verändert. Nicht im Sinne von zerstörten Gebäuden, sondern im Sinne von veränderten Einstellungen. Wer jemals einer Naturgewalt ausgesetzt war, oder sie zumindest ansatzweise erlebt hat, der weiß was Demut ist. Und in diese Richtung hin müssen wir uns verändern, wenn wir unseren Kindern und Kindeskindern noch eine halbwegs lebenswerte Umwelt bewahren wollen.
© neli 2019-11-20