Jeder Tragik wohnt ein Zauber inne-Abschied#5

Christina Glück

von Christina Glück

Story
Neunkirchen 2022

Seit ein paar Jahren wusste ich, dass der Moment unausweichlich kommen wird. Der Moment, in dem Mama ihren letzten Atemzug machen wird. Durch die Geißel des Krebses wahrscheinlich früher als sie sollte. Vatis Tod war schon schlimm, aber wie soll ich nur Mamas Abschied verkraften können. Dieser Moment wird eine neue Lebensphase einläuten, nämlich die keine Eltern mehr zu haben. Und was passiert dann mit meinem Elternhaus? Wir werden es verkaufen müssen, wenn Mama nicht mehr ist. Am 5.7. 2022 war dieser Moment gekommen. Meine Mama konnte ihren gemarterten Körper endlich freigeben. Es zieht einem den Boden unter den Füßen weg, auch wenn man die Situation im Kopf schon 1000x durchgespielt hat. Und der geplante Hausverkauf war plötzlich kein Gedanke mehr, der vage im Raum steht, sondern unverrückbare grausame Tatsache.

Jetzt hieß es Abschied nehmen; nicht nur von Mama, sondern auch von meinem geliebten Elternhaus. 20 Jahre habe ich dort verbracht, bis ich fürs Studium nach Wien umgezogen bin. Seit knapp 30 Jahren verbringe ich regelmäßig, ob nur fürs Wochenende oder mal für länger, Zeit in meinem Elternhaus und im Garten.

Ein Architekt hat dieses Haus mit ganz viel Liebe zum Detail geplant. Es ist voller Seele, offen, lichtdurchflutet, zeitlos und umgeben von einer heimeligen Aura. Ein architektonisches Juwel, das mir für lange Zeit Sicherheit und Geborgenheit gebende Heimat war.

Ich entschied mich im Zuge der Hausräumung für einen unbequemen, sehr schmerzhaften Vorgang. Ich wollte nicht alles der Räumungsfirma überlassen, sondern es war mir ein Anliegen, mich bewusst vom Haus, seiner und meiner Geschichte zu verabschieden. Konkret hieß das, ich kramte in jedem Regal, jeder Schublade und musste entscheiden, was wegkann und was ich behalte. Das hieß auch, einige Wochen brutale Vergangenheitsbewältigung. Und siehe da, ich entdeckte Schätze, die für immer verborgen geblieben wären, darunter Liebesbriefe meines Vaters an meine Mutter und Jahreskalender mit persönlichen Notizen.

Ich organisierte in der Garage meines Elternhauses einen Flohmarkt, der ein voller Erfolg wurde und sich als Ort vieler wundervoller Begegnungen entpuppte. Es war wie ein Happening, zu dem sich neben mir unbekannter Flohmarktbesucher auch Nachbarn, Freunde, Verwandte gesellten; Menschen, die in irgendeiner Weise Bezug hatten zum Haus oder seinen Bewohnern. Bei Pizza und Prosecco wurden liebevolle Erinnerungen ausgetauscht und alte Geschichten aufgewärmt. Über allem schwebte ein inniges Gefühl von Dankbarkeit, das mich sehr ergriff. Das Haus und meine Eltern wurden an diesem Tag noch einmal spür- und hörbar gebührend gewürdigt. Im Wort Happening steckt das Wort „happy“ drinnen. So wohnte diesem Tag trotz seiner Tragik ein Zauber inne.

© Christina Glück 2023-05-25

Genres
Spiritualität, Biografien
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Traurig
Hashtags