von Musenkuss
Es war glühend heiß. Die Grillen zirpten ein schier unerträglich lautes Konzert und die Sonne brannte vom Himmel herab und heizte die dicken Mauersteine auf. Als sich die Sonne langsam über die Burgzinnen herabsenkte und die Mauern in ein dunkles Rot tauchten hieß es: „Vorhang auf“.
Im Burghof einer Burg, an dessen Name ich mich nicht mehr erinnere, wurde Hoffmanthals „Jedermann“ aufgeführt. Es war eines meiner ersten Theaterstücke, die ich gesehen habe. Ich war acht und mein Vater, begeisterter Theatergänger meinte, mich in dieses Stück Salzburger Kulturgut mitzunehmen. Und ich muss sagen, ich war von der Atmosphäre, der Burg und dem Stück wahnsinnig gefesselt. Ich verstand die Handlung nicht ganz. Aber offenbar ging es um diesen furchtbar reichen und unausstehlichen Jedermann, der in der stickigen Sommerhitze dem Tod und Gottes Gericht zu entfliehen versuchte.
Da kam er auch: Der Tod. Eine dunkle, düstere und furchtbare Figur, die wortlos durch die Zuschauerreihe Richtung Bühne schritt. Er stieg auf die Bühne und drehte sich wortlos zum Publikum. Just in dem Moment, wo er zu sprechen begann und von seiner Aufgabe erzählte, fiel eine Reihe vor mir einfach einer um. Er kam nicht mehr zu sich. Sofort sprangen Sanitäter herbei, die Vorstellung wurde unterbrochen und der Herr wurde rausgetragen. Ein Notarztwagen erschien und versorgte den armen Zuschauer. Er war wohl ein Opfer der Hitze geworden. Für mich als achtjährige war es aber definitiv zu viel des Guten. Ich war der fixen Überzeugung, dass der Tod eindrucksvoll demonstriert hatte, WAS er konnte. Und ich hatte Angst vor der Figur das ganze Stück durch.
Als der Schlussapplaus verebbte war ich so fasziniert und doch schockiert von „Jedermann“, dass mein Vater bemerkte, dass er mich in dem Zustand nicht mit nach Hause nehmen konnte. Er nahm mich an die Hand und ging in Richtung einer Tür, wo die Darsteller wohl ihre Garderoben hatten. Er klopfte höflich und fragte, ob der „Tod“ nicht mal raus kommen könnte… Ja, hatte der den Verstand verloren?! Ich fing an zu zittern. Das war’s also mit meinem Leben… danke Papa!
Wenige Minuten später stand er vor mir, mit halber Garderobe, aber noch in Schminke. Er sah mich düster an. Mein Herz pochte bis zum Hals. Dann ging der Tod auf die Knie und sah mir in die Augen. Okay, aus der Nähe, sah er menschlicher aus… Schließlich zog er ein paar Abschminktücher hervor und schminkte sich vor meinen Augen ab. Der Tod verwandelte sich einen sehr freundlichen Herren. Ich merkte, dass er „nur ein Mensch“ war und ich fuhr sehr beruhigt mit meinem Papa nach Hause. An jenem Abend habe ich zum ersten Mal die Magie von Theater erlebt. Ob „Jedermann“ Stoff für Kinder ist, sei mal dahingestellt. Aber das Erlebnis will ich nicht missen.
© Musenkuss 2020-08-02