Das ist kein Sonnenuntergang, das ist ein brennendes Schiff.
Von dort, wo ich saß und an einem billigen Tee nippte, konnte ich die Wellen hören, die auf dem schmutzigen Sand auf und ab krochen. Es gab so viele Dinge im Wasser, die halb unsichtbar in den blauen Tiefen verborgen waren und jetzt nach und nach an die Oberfläche schwappten. Federn. Plastikflaschenkappen. Dunst. Rollende Steine. Fische. Sauerstoff. Öl. Abfall. Ringe. Urlaubserinnerungen. Tote Möwen. Zerbrochene Planken. Der Mond bei Nacht.
Ich wurde den Gedanken nicht ganz los, dass ein Teil von mir sich bald dazu gesellen würde, der Rest von dem, was ich Herz nannte. Der Rest dieses unsicheren Dings, das du in meiner Brust zurückgelassen hattest.
Als du dich mir auf diesem Pier während des Sonnenuntergangs genähert hast, spürte ich alles in mir zusammen sacken.
Diese Geschichte würde nicht gut für uns ausgehen.
Deine Wörter drangen tief, drangen weit über die Knochen hinein und endeten in etwas das kaum noch physisch zu erfassen war. Etwas, das ein bisschen über diesem 300-Gramm-Muskel, unter meinem Brustkorb und viel zu nah an meiner Wirbelsäule lag.
Weiter schafften es deine Wörter nicht. Ich spürte sie nirgendwo in der Nähe meines Gehirns oder meiner Lippen.
Ich weiß, ich weiß. Ich hätte es hören sollen, diesen Schmerz und diese Sehnsucht, von der du gesprochen hast. Irgendwo dort hätte mein Name sein sollen, irgendwo dort wo du von Verlangen sprachst. Aber ich hörte nichts. Ich konnte selbst meine eigenen Gedanken nicht mehr hören.
Und vielleicht hatte ich etwas Besseres verdient als das, vielleicht hatte ich gar nichts verdient, nach dem, was ich getan hatte. Aber ich konnte mich nicht wegbewegen und ich wusste nicht, wo mein Körper anfing und der Schmerz begann. Wo meine Seele in Angesicht von etwas Furchtbarem erzitterte und mein Herz in Agonie war und wo mein Atem über meine Lippen glitt.
Ich bin ein Narr.Ein verdammter Narr.
Dass ich erst jetzt verstand, dass das kein Sonnenuntergang war, sondern ein gottverdammtes, brennendes Schiff.
© Jonathan Krupitza 2022-08-31