JERUSALEM UND DER PAPIERENE

PETER MANDL

von PETER MANDL

Story

Heute, nach sechzig Jahren, dringt es in mein Bewusstsein: Ich war mit dem Wunderteam im Bunde und das kam so: am zweiten Tag meines Eintritts (August 1960) in die glorreiche Pensionsversicherung der Angestellten fragte mich der Sportreferent: spün se Fuasboi?

Obwohl kaum 18, hatte ich bis dahin bereits eine steile Karriere hingelegt. Mit 8 auf die Simmeringer Haide vulgo Had‘ zum SC Mautner Markhof, mit 9 hinüber auf die Favoritner Kreta zu Blau- Weiß-Ankerbrot (A-Liga), danach durch Protektion der mit meiner Mutter bekannten Mutter des National-Linksverbinders Ernst “Caesar” Sabetzer (er ging in die achte, ich in die zweite Klasse des RG Simmering) auf dem Vespa-Rücksitz in den Prater zur Austria. Sektionsleiter Joschi Walter erkannte mein überragendes Talent leider nicht, obwohl ich im Schulhof wie am Laaerberg kraft meiner filigranen Technik auf den Spitznamen “Ballettdame” hörte. Er reichte mich gleich ein paar hundert Meter weiter zum WAC (Wiener Athletik Club, auch 1.Liga). Dort wurde nach dem ersten Probespiel unverständlicherweise ebenfalls auf meine Dienste verzichtet.

Das ganze koinzidierte mit einem von meinem Vater wegen undurchsichtiger Lateinnoten verhängten unpädagogischen Fußballverbot, sodass mein Genie nur in Käfig und Wiese, in Nachbarschaft zu Gustl Starek und Peter Pumm, verkümmerte. Spätere Comebackversuche bei Ostbahn XI scheiterten kläglich.

Zurück zur PV-Ang. Da ich brav zu jedem Montagtermin erschien, durfte ich als eine Art Wasserträger fallweise bei der mit hochklassigen Kickern bestückten Betriebsmannschaft (Nationalspieler Hamerl und Oslansky, dazu Poindl, Wirtl, Peter Müller usw.) dilettieren. Allerdings mit gehörigem Respekt: Herr Hamerl, schiassen’s bitte her! Do host, Bua! Bis weit in die Sechzigerjahre wurden Fußballer noch nicht vergoldet und mussten auch einem anständigen Beruf nachgehen. Der Lohn waren 1000 Schilling pro Ländermatch und manchmal eine Tankstellenpacht. Dafür waren wir 1954 WM-Dritter!

Eines Tages bemerkte ich in unserem Sturm einen älteren Herrn, der von allen Granden ehrfürchtig “Camillo” gerufen wurde und sogar unter den anderen Ferslern noch hervorstach. Naja, dachte ich, der spielt sicher besser als der andere, eh scho wissen: Don Fernandel. Es war Camillo Jerusalem.

So nimmt es nicht wunder, dass die Auswahl der PV-Ang die Gewerkschaftsmeisterschaft in Serie gewann. Im Berliner Olympiastadion schossen sie 1962- ich saß ungerechterweise am Ersatzbankerl- die deutsche Rentenversicherung BfA mit 6:0 vom Rasen.

Vorgestern schau ich zum Herrn Google und erfahre: Camillo Jerusalem (im dienstlichen Telefonverkehr hab ich mich bei “Herr Jerusalem” vor Ehrfurcht stets verhaspelt) bildete zu Zeiten des “Wunderteams” den berühmten Sturm der Austria neben Pepi Stroh und Matthias “Der Papierene” Sindelar, dem besten österreichischen Kicker aller Zeiten (der Ocwirk, der Schneckerl, der Hansi mögen mir verzeihen).

© PETER MANDL 2021-07-20