von Gerhard Riemer
Anlässlich der Hochzeit von Kana, geschah es, dass der Wein ausgegangen war. Maria teilte dies ihrem Sohn mit, wohl mit dem Gedanken, er würde für mehr Wein sorgen.
Verärgert antwortete Jesus: “Weib, was habe ich mit dir zu schaffen!“ Doch statt bei den Nachbarn Wein zu erbitten, forderte er die Diener auf, die leeren Krüge mit Wasser zu füllen. Als der Mundschenk anschließend davon kostete, war das Wasser zu köstlichem Wein geworden. Ein WUNDER? Nein, natürlich nicht!
Was in einem Kulturkreis ein Wunder ist, ist in einem anderen Kulturkreis Normalität. In biblischer Zeit war es unter den Juden bei Einladungen üblich, dass jeder einen Krug Wein mitbrachte und den Inhalt beim Eingang in eine große Amphore goss. Dies war bei der Hochzeit in Kana ebenso. Nun dachte der erste Gast, es kommen nach mir noch viele andere, ich gieße einfach Wasser statt Wein in die Amphore, das merkt doch niemand. Der zweite Gast dachte ebenso, auch der Dritte und Vierte. Als beim Mahl Wein gereicht wurde, merkte natürlich jeder der Gäste sofort, dass dies Wasser war, doch durfte niemand reklamieren, um sich nicht selbst zu beschuldigen oder gar den Gastgeber zu blamieren, dass nicht ein einziger Krug Wein in all dem vielen Wasser war. Das war kein Wunder, das war Chuzpe!
Im Gegensatz zu heute gab es früher viele Wunder. Eines der beeindruckendsten Wunder ist jenes, wo jüdische Priester heidnische Priester herausfordern, einen Stier ihren Göttern als Brandopfer darzubringen. Die jüdischen Priester wollten es ebenso machen, allerdings durfte niemand Feuer an das Opfertier legen. Nachdem die heidnischen Priester einen halben Tag gebetet und Beschwörungen rezitiert hatten, brannte ihr Opfer immer noch nicht. Nun wurden die jüdischen Priester aktiv. Sie schmähten ihre Gegner und gossen sogar mehrere Eimer Wasser über ihren Opferstier, um zu demonstrieren, selbst das derart benässte Opfer würde, ohne Feuer daran zu legen, lichterloh brennen. Und tatsächlich, nur wenige Gebete reichten aus, um den Stier wie eine Fackel brennen zu lassen. Selbst das nasse Gras, Erde und sogar Steine brannten. (1 Kg 18:34) Wie ist das möglich? Ein WUNDER? Nein, natürlich nicht. Es war kein Wasser, das über das Opfertier gegossen worden war, es war Naphtar. Eine damals bereits bekannte, beinahe farblose und leicht brennbare Flüssigkeit aus den Asphaltgruben. Es reichte ein kleiner, in einem Krug verborgener Brandherd, um das durch und durch getränkte Opfertier mit einer Stichflamme zu entzünden. Der Hinweis, dass auch Erde und Steine brannten, ist ein eindeutiger Hinweis auf einen Brandbeschleuniger. Kein Wunder, sondern Betrug durch einen Taschenspielertrick, also Chuzpe! Doch dem Volk konnte man eindrucksvoll demonstrieren, dieser Gott ist weitaus mächtiger als jener der heidnischen Priester.
© Gerhard Riemer 2022-02-26