Jetzt gehts um mich

Cornelia Morhardt

von Cornelia Morhardt

Story

Sie war farbenfroh gekleidet. Ein zartgelber Blusenkragen kränzte den Ausschnitt eines weinroten Kashmirpullovers. Eigentlich ganz schick. Sie war deutlich über 60, hatte dezenten Schmuck angelegt. Den Borsalino wollte sie wohl nicht absetzen.

“Grüß Gott! Hier noch jemand zugestiegen? Ihre Fahrkarten, bitte!”

Die Dame hatte einen sehr zufriedenen Gesichtsausdruck. Erwartungsvoll. Hatte Ihr Ticket und Ihre Bahnkarte bereits gezückt. Als der Schaffner die Abteiltür wieder geschlossen hatte, lehnte sie sich lächelnd zurück. Ihr Hut stieß an das Kopfteil des Sitzes. Sorgfältig legte sie ihn auf die Hutablage über ihr, rückte ihn noch zwei,- dreimal zurecht. Sie setzte sich wieder und sah mich mit fröhlich strahlenden Augen an.

“Sie fahren auch bis Kassel?”

“Nicht ganz, nur bis Frankfurt”, antwortete ich.

“Ist ja eine schöne Strecke.”, sagte sie, den Blick weit hinaus auf die vorbei ziehenden Felder gerichtet.

“Ich hole mir im nächsten Wagen was zu trinken, soll ich ihnen etwas mitbringen?”, fragte ich die Dame.

“Oh ja, gerne! Das ist ja ganz reizend! Einen Kaffee, bitte. Schwarz. Ich geb Ihnen gleich Geld mit!” Sie griff nach ihrer Handtasche.

Reizend, dachte ich. Lange nicht gehört, dieses Wort.

“Nicht nötig, das können wir später machen.” Ich ging hinaus.

Sie genoss ihren Kaffe sichtlich. Irgendwie behutsam. Als ließe sie bei jedem Schluck noch einmal den köstlichen Duft ihre Sinne streicheln.

“Ich fahre ja nach Hause, wissen Sie? Aber vorher besuche ich noch meine Freundin. Ich komme grade aus dem Urlaub.”

”Da war es wohl recht angenehm, Sie wirken entspannt und gut gelaunt, wenn ich das sagen darf?”

”Ja. Danke. Stimmt. Ich bin entspannt. Und das ist auch gut so!”

Ein langes, interessantes Gespräch entwickelte sich. Wir beide blieben auch die ganze Fahrt allein im Abteil. Nichts störte die wachsende Vertrautheit.

Irgendwann, kurz vor Frankfurt sagte sie: “Und dann, habe ich den Entschluss gefasst…das ist nun schon acht Jahre her…aber seither geht es mir gut. Familie hin, Verwandtschaft her. Ich hatte meine Diagnose. Und das war schlimm! Und keiner war mir beigestanden. Ich tat niemandem leid. Eher noch das Gegenteil! Das war viel schmerzhafter, als der Krebs und alle Operationen. Und so dachte ich: Jeder Tag zählt! Wer weiß schon, wie lange einem das Leben vergönnt ist?“

”Und seither haben Sie nun mit niemandem in ihrer Familie mehr Kontakt gehabt? Gar nicht?”

”Richtig! Und das war das Beste, was ich je für mich gemacht habe.”

Mein fragender Blick entging ihr nicht.

”Verstehen Sie: Endlich lasse ich mein Leben sich um mich drehen. Und ich tue konsequent nur noch, was mir wirklich Freude macht und umgebe mich auch konsequent nur noch mit denen, die mir wohlwollend sind. Jetzt gehts in meinem Leben endlich um mich. Und jeder Tag zählt!”

Sie lächelte aus tiefer, glücklicher Seele heraus. Aus ihren fröhlichen Augen und mit ihren gefälteten Lippen.

”Es war höchste Zeit, wissen Sie?!”

Bild:J.Wolters dpa

© Cornelia Morhardt 2020-05-06

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