von Kristin Hörning
Es ist Montagmorgen. Man könnte meinen, dass sie ausgeruht und fit in die neue Woche startet. Tut sie aber nicht. Die letzte Woche steckt ihr noch immer in den Knochen. Sie ist erschöpft. Zutiefst erschöpft. Die inneren Schutzmauern sorgfältig hochgezogen, macht sie sich dennoch schwerfällig auf den Weg zur Arbeit.
„Auf geht´s in eine weitere Woche der Hölle, ähm Apotheke.“, murmelt sie vor sich hin. Schon seit längerem geht sie täglich über ihre Belastungsgrenze, während sich die Kollegen auf ihrer Arbeitsleistung ausruhen. Marie macht das schon. Marie ist ja da. Selbstverständlich.
Sie reißt sich den Arsch auf und hält ihren Kollegen stets den Rücken frei. Gerne. Aber nicht zu jedem Preis. Nicht auf Kosten ihrer (mentalen) Gesundheit. Marie will nicht mehr. Sie kann nicht mehr.
Schon oft hat sie mit dem Gedanken gespielt, einfach zu kündigen. Fragt sich frustriert, was sie hier eigentlich noch macht, warum sie sich diesen Scheiß überhaupt noch gibt. Sie ist unglücklich. Zutiefst unglücklich.
Gerade als Marie sich endlich die Zeit nimmt, einen Tee zu kochen, hört sie ihre Kollegin rufen: „Marie, kannst du mal mit nach vorn kommen?“ Ihr entgleisen alle Gesichtszüge. MAL mit vorkommen?! Als ob sie eben nicht schon zwei Stunden am Stück vorne war und sich nahezu alleine um alle Patienten gekümmert hätte.
NEIN, denkt sie.
„Klar, bin gleich da.“, SAGT sie.
Sofort lässt sie alles stehen und liegen und schlurft erschöpft in den Verkaufsraum. Dort angekommen stellt sie fest, dass der Laden alles andere als überfüllt ist, wovon sie eigentlich ausgegangen war. Nein, im Gegenteil. Ihre Kollegin unterhält sich entspannt mit einer Kundin, während dahinter ein weiterer Patient wartet. Unschlüssig, ob sie lachen oder weinen soll, bedient sie tapfer den älteren Herrn, der ihr sein Rezept erwartungsvoll entgegenhält. Nach vier weiteren Kunden schafft sie es tatsächlich wieder nach hinten.
Verwirrt registriert sie das zarte Dampfen aus ihrer Lieblingstasse. „Habe ihn für dich aufgegossen.“, sagt Anton, der gerade aus dem Labor kommt.
„Danke, du bist ein Schatz! Hast du mitbekommen, was da wieder abging? Holen mich vor, weil sie privat quatschen, statt zu bedienen. Aber wehe, ich erzähle mal privat. Nicht mal was trinken konnte ich.“, berichtet Marie, überschäumend vor lauter Emotionen, von denen sie nicht weiß, wohin damit.
„Ja habe ich. Entschuldige, dass ich dir vorne nicht helfen konnte, weil ich im Labor festhing.“
„Schon gut, es ist nicht deine Aufgabe, mich zu retten. Sondern meine.“, sagt sie und reißt plötzlich die Augen weit auf, ihren Blick dabei allerdings stumpf ins Leere gerichtet.
Eine Sorgenfalte bildet sich auf Antons Stirn, den eine böse Vorahnung beschleicht.
Oder eher eine gute?!
© Kristin Hörning 2022-10-18