von Jochen Rathmann
Weihnachten 1987.
Sie hatte in einem der Produktionsbüros, die in einem leerstehenden Nebengebäude in der Stadt improvisiert eingerichtet wurden, fünf Minuten mit ihrer Familie telefonieren können. Danach musste sie zurück ans Set. Vor der Tür warteten weitere Crew-Mitglieder, die ebenfalls kurz ihre Angehörigen erreichen wollten. Da es aber nur zwei Telefonanschlüsse gab, bildete sich eine Schlange.
Auf dem Weg zum Bootssteg, wo seit zwei Stunden die Beleuchter und Kameraleute die Szene vorbereiten, wünschten ihr einige im Vorbeigehen „Frohe Weihnachten“.
Es war ein kalter Morgen, vielleicht spürte sie die Kälte nur intensiver, da direkt am Wasser gedreht wurde. Aber in dieser Gegend gab es kaum einen Ort, der nicht am Wasser lag.
Der Regisseur des Films, Howard, kam hinter der Kamera hervor und besprach mit ihr die für heute geplanten Szenen. Da er seine Familie mitgebracht hatte, war er nur kurz vorbeikommen, alle auf den Tag einzustimmen, bevor er wieder gehen würde.
Ein paar Minuten später erschien Chris, der hoffentlich seinen Text konnte. Es standen zwei Dialogseiten auf dem Plan, aus vier unterschiedlichen Einstellungen gedreht. Das würde bis zum Nachmittag dauern. Howard übergab dem Regieassistent die Kontrolle und wünschte allen „Frohe Weihnachten“.
Ein paar Tage zuvor besuchte der Drehbuchautor John Hughes das Set. Ein freundlicher, ruhiger Mann, der alle Positionen abging und sich kurz vorstellte. Er war eng mit dem Hauptdarsteller befreundet, weswegen man die beiden während seines Aufenthalts immer zusammen sah. Hughes war der Grund gewesen, warum sie das Projekt überhaupt angenommen hat. Er war einer derjenigen, mit denen man unbedingt zusammen arbeiten wollte. Und wenn man die Chance bekam, lehnte man nicht ab. So ungünstig die Umstände auch sein mögen.
Als Hughes sich ihr persönlich vorstellen wollte, wurde sie gerade wieder ans Set gerufen. Sie tauschten ein paar Nettigkeiten aus, ihm gefiel ihr gerade erschienener Film, und dann musste sie auch wieder los. Später sah sie ihn nur noch aus der Ferne. Bevor der Drehtag vorbei war, war er schon wieder weg.
Obwohl es so kalt war, stand dem Regieassistenten der Schweiß auf der Stirn. Für ihn würde vermutlich alles auf diesen Moment ankommen, das erste Mal die Verantwortung in dieser Position zu tragen.
Er holte tief Luft: Und immer daran denken, es sind Sommerferien. Es ist heißt. Ihr seid gut gelaunt. Ihr genießt das Leben. Ihr seid dabei, euch zu verlieben.
Es war das erste Weihnachten, dass sie weit weg von Zuhause verbracht hat.
Es war das erste Weihnachten ohne ihre Familie.
Die Szene am Bootssteg wurde später aus dem Film herausgeschnitten.
© Jochen Rathmann 2022-08-26