Jolanda mit dem Hut 3

Florian C. Pichler

von Florian C. Pichler

Story

Stunden spĂ€ter, es wurde zusehends dunkel, hatte sie ihn noch immer nicht gefunden. Sie war den Fluss entlanggegangen, hatte unterhalb der BrĂŒcke jedes GestrĂŒpp durchforstet, der Hut jedoch war unauffindbar. Ein letztes Mal ging sie nun flussabwĂ€rts. Weiter als zuvor, obwohl sie keine Hoffnung mehr hatte, ihn noch zu finden. Da entdeckte sie ihn. Es musste ihr Hut sein, der dort nahe dem Ufer an einem Ast hĂ€ngen geblieben war. Jolanda konnte ihr GlĂŒck nicht fassen.

Bald war sie wieder Jolanda mit dem Hut. Bald wĂŒrde sie sich wieder geborgen und sicher fĂŒhlen. Der Hut wĂŒrde etwas Zeit zum Trocknen brauchen, aber soweit sie vom Ufer aus beurteilen konnte, war ihm nichts geschehen. Sie musste ihn nur erreichen, er hing nicht allzu weit vom Land entfernt fest. Nur noch ein wenig musste sie sich strecken. Da verlor sie den Halt, ruderte kurz mit den Armen, fiel vornĂŒber und im letzten Moment erreichte sie den Hut.

Sie hatte ihn! Dann tauchte sie ein in den eisigen Fluss. Die Jacke sog sich voll mit kaltem Wasser und die Schuhe zogen sie hinab. Verzweifelt versuchte sie sich an die OberflĂ€che zu kĂ€mpfen, aber sie war zu schwach und der Fluss zu stark. Sie schrie um Hilfe. Ihre Lungen fĂŒllten sich mit Wasser und brannten wie Feuer. Da schwanden ihr die Sinne und sie verlor sich in einer letzten Nacht.

Eine Woche nach Jolandas BegrĂ€bnis, es war ein eisiger Februarmorgen, kam eine junge Frau am Friedhof vorbei. Sie ging mit festem Schritt, in der Hand hielt sie einen Karton. Zielstrebig schritt sie zu dem Grab der alten Frau und blieb davor stehen. Lange blickte sie auf die Plakette. Darauf stand in goldenen, geschwungenen Lettern „Hermina ‚Jolanda‘ Schmid“. Der Name, an den sich Jolanda selbst nicht erinnern hatte können. Da kam ein Mann dazu, er hatte sich fest in einen alten Mantel gehĂŒllt und stellte sich neben die junge Frau. So standen sie eine Weile da. Sie aufrecht und entschlossen, er gebeugt und sichtlich vom Leben gebeutelt.

Wissen Sie – wandte der Alte sich schließlich an die junge Frau – Ich war ein guter Freund von Jolanda. Seine Stimme brach. Sie war ein guter Mensch. Wussten Sie, dass sie jede Woche Gutscheine verschenkt hat? Sie hatte so viel GĂŒte, uns Obdachlosen zu helfen. Haben Sie Jolanda gekannt?

Die junge Frau nickte – Ja, ich kannte sie sehr gut, aber das ist schon lange her. Der Mann zog eine Augenbraue hoch – und woher kannten Sie sie?

Ich war einmal ein wichtiger Teil ihres Lebens, glaube ich. Mein Vater hat viel darĂŒber erzĂ€hlt, aus der Zeit vor der Scheidung.

Jolanda hatte eine Familie? – Der Mann war sichtlich erstaunt.

Ja. Auch wenn sie uns vergessen hat, wir haben sie nie vergessen. Die junge Frau wandte sich dem Obdachlosen zu. Hier, fĂŒr Sie – sagte sie und reichte ihm ein Kuvert.

Seitdem liegt jede Woche ein Umschlag mit Gutscheinen am Grab von Jolanda. Niemand weiß, woher er kommt, aber das macht nichts, denn die Obdachlosen teilen das Geschenk und danken Jolanda dafĂŒr.

© Florian C. Pichler 2024-03-04

Genres
Romane & ErzÀhlungen