Judo

Jörg Gschaider

von Jörg Gschaider

Story

Neben Körperbeherrschung, Geduld, Teamgeist und etwas Disziplin sollten meine Kinder auch erlernen, sich nötigenfalls selbst verteidigen zu können. Was lag also näher, als dem örtlichen Judoclub beizutreten? Nach mühsamen Zeiten, die vor allem dem Erlernen der Fallschule gewidmet waren, wurden ihnen Schritt für Schritt Kampftechniken beigebracht. Übung macht bekanntlich den Meister und mit den Fortschritten stieg auch die Begeisterung. Die jungen Leute entwickelten sich zu wahren Koryphäen.

Ich durfte den Trainingseinheiten beiwohnen: Drei Schritte vorwärts, den Gegner packen, eindrehen und Wurf. Den Wurf nur angedeutet. Die richtigen Schritte, der ideale Griff und die Haltung im Eindrehen waren gefragt. Immer und immer wieder. Selbst das Randori sah spielerisch und sanft aus.

Bei den Turnieren, die in Österreich stattfanden, war ich – so es der Schichtplan erlaubte – stets unter den Zuschauern. Dabei war ein Judoturnier eine langwierige Sache: Umziehen, Einteilung nach Altersklassen, Abwaage und Erstellen eines Plans ließen Stunden verstreichen. Lange Wartezeiten, ehe die ersten Paarungen auf die Matten durften. Dann endlich der eigene Nachwuchs: Nach ein paar Sekunden eine Waza – Ari Wertung. „Mate“, Aufstellung, Gürtel richten und schon schrie der Kampfrichter „Ha-jime“. Los geht’s wieder. Einen Griff suchend, ein paar Drehungen um die eigene Achse der kämpfenden Paarung und Sekunden später: „Waza-Ari awasete Ippon“. Der Kampf war beendet. Na super!

Allzu gefährlich haben auch diese Kämpfe, teils um Meisterschaften ausgetragen, nicht ausgesehen. Zumindest für einen Laien sah das Ganze eher nach Ballett denn Kampfsport aus. Na gut! Judo bedeutet ja auch „der sanfte Weg“. Aber ein so sanfter Weg zur Selbstverteidigung?

Im Zuge des Schichtwechsels traf ich des öfteren Paul. Er war etwa eins neunzig groß und ein Schrank von einem Mann. Zudem wirkte er überaus grimmig und man wusste: Wenn er mit den Zähnen knirschte, die Augenbrauen zusammenkniff und dazu noch brummte, war dringend Deeskalation geboten. Nebenberuflich arbeitete er als Türsteher in diversen Discos oder Nachtclubs. Der Mann hatte Erfahrung. Im Inneren der Tür seines Garderobekastens prangte ein Ausschnitt aus einer Zeitung: Judo-Landesmeister 1977 stand in fetten Lettern als Schlagzeile zu lesen. Wer konnte also besser über die Wirkung dieses Sports Auskunft geben als er? „Hey Paul, kann man mit Judo etwas anfangen?“, fragte ich geradeheraus und dürfte einen wunden Punkt berührt haben. Die ohnehin nicht sehr freundliche Miene verfinsterte sich augenblicklich noch weiter. Zähneknirschen, zusammengezogene Augenbrauen und dieses eigentümliche Brummen. OH, OH! „Bis jetzt ist keiner mehr aufgestanden!“, zischte er hervor. „Ok, danke Paul. Vielen Dank! Verstanden! Und… Kein Grund zur Aufregung!“

Um die Verteidigungsfähigkeit meiner Kinder brauchte ich mir also keine Gedanken mehr zu machen.

© Jörg Gschaider 2022-01-02

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