junge Frau

Mathilda-Fee Sanchez

von Mathilda-Fee Sanchez

Story
2015 – 2020

„Dieses Jahr werde ich Sex haben. Oh bitte lass mich Sex haben.“, flüsterte sie der Wimper hinterher. Es war ihr 15. Geburtstag, Brüste hatte sie noch keine und von ihren Eltern hätte sie sich am liebsten etwas Silikon gewünscht. Geküsst hatte sie schon viel, aber nur die Kinder, nie die Männer und vor allem eines hatte sie noch nicht erfahren: die Liebe. Als sie dann 16, später 17 und bald 18 wurde, da kamen die Brüste doch die Jungfräulichkeit blieb. Es waren immer ihre schönen Freundinnen gewesen, die an feuchtfröhlichen Abenden plötzlich verschwanden, zum Rumknutschen, zum Fingern, zum sich unterm Sternenhimmel in den Armen liegen. Sie blieb dann sehr allein zurück. Hockte sich ins Gras, legte den Kopf auf den Knien ab und lächelte dem breiten Mund des Mondes zu. „Gibst du mir einen Gutenachtkuss, lieber Mond?“, murmelte sie in sich hinein, längst an die Lippen eines anderen denkend und sich dennoch der Traurigkeit um diesen bloßen Traum versagend. Ihr Flüstern verzerrte sich in die Form der vielen Gedanken. Es wird passieren, ruhig, Geduld, ganz ruhig, es hat Zeit. Nein, es muss passieren, bald, sofort, so dringe doch endlich jemand in mich ein, erst dann werde ich wirklich leben. Das Niemand sein hatte sie mit 13 so nervös gemacht, dass sie den Gleichaltrigen ihr erstes Mal auftischte. Geliebt hatte sie die Bewunderungen, welche ihr Herz so herrlich ins Pulsieren brachten. Zu lügen war zu sein, wer sie schon immer sein wollte. Identität haben ohne die Dinge wirklich getan zu haben, die man von ihr erwartete. Kein Blasen. Kein befangenes Halten eines klitschigen Penisses in ihrer Hand. Ihre Erzählungen gaben ihr das Gefühl alles Beängstigende bereits erledigt zu haben, dass nun die wahre Liebe kommen mochte. Doch in ihren Geschichten ging sie verloren, da sie die Grenzenlosigkeit des Erzählens unterschätze. Packte sich ihr Selbst zu voll und tat sich schwer beim Erinnern, wem sie nun was und wie stolz vorgetragen hatte. In dieser Überforderung kollidierte sie jedes Mal mit der Wahrheit und der Scham eine Lügnerin zu sein. Eine, die so viel Angst hatte nicht geliebt oder vielleicht sogar geliebt zu werden. Was das Lügen ihr bereitete, war vor allem Einsamkeit, die sie in eine körperliche Schwere stürzte. Ein Klumpen Blei in ihrer Brust. Nachts weinte sie viel, dass sich auf der Bettwäsche eine Lache bildete, ein See aus Selbstmitleid und Sehnsucht. Wenn sie keine Tränen mehr übrig hatte, befriedigte sie sich selbst. Druckausgleich. Schlief dann ein im negativen Frieden, der Abwesenheit von Krieg in ihrem Kopf. Am nächsten Morgen klebten ihr die Lider noch zusammen. Es war einer dieser Tag, an dem die Sonne schien und man sich trotzdem den Regen wünschte. So gerne wäre sie einfach liegen geblieben, hätte das Ich, welches sie täglich zu leisten versuchte, einfach aufgegeben. In ihrem Kopf die 1Millionen-Euro Frage: Geld oder weiter schlafen? Und ohne zu zögern hätte sie sich für das butterweiche Bett entschieden, hätte hätte hätte. Denn zu funktionieren, war immer noch wichtiger als friedlich zu sein. So stand sie also doch auf, wie jeden Morgen und trank ein Glas Wasser mit Zitrone, dessen Placeboeffekt sie munter und glücklich machte. Dann Gesichtsreinigung. Haare glätten. Ein Selfie und 50 Kniebeuge, bei denen sie ihren Po so willentlich anspannte, als könnte dies der Tag des zweiten Verlustes ihrer Jungfräuflichkeit sein.

© Mathilda-Fee Sanchez 2023-08-25

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Komisch, Inspiring, Funny
Hashtags