Juristen-Duden

Daniela Neuwirth

von Daniela Neuwirth

Story

“Originäre? Was das wohl heißt?“ Sie hat erfolgreich die ersten 14 Seiten hinter sich gebracht, da stört dieser eine juristischsprachliche Sonderling auch nicht mehr. Ihr war klar, dass dies von „Original“ kommen muss, denn von „ordinär“ kann sie gleich ausschließen, da es sich um eine Klage handelt und nicht um einen Werbetext für ein Reeperbahn-Etablissement.

Sie tippt freudig weiter und das Wort scheint sich so hübsch und passend in den Zusammenhang einzufügen, bis… “O-r-e-g-e-n-ä-r-e.” BB hat es zur Sicherheit auf Band doch dazu buchstabiert. “What?” Sie spult zurück und dreht die Lautstärke auf. “O-r-e-g-e-n-ä-r-e.” Dann nochmal. „Das heißt ja nun gar nichts mehr“, stellt sie fest, als sich das, ihr unbekannte Adjektiv, optisch an das nachfolgende Hauptwort schmiegt.

“Oregon.” Sie denkt an den Westen der USA, wo dieser Staat über Nevada – wo sie geheiratet – und Idaho liegt, doch außer Bibern und Goldsuchern, ist dieser, obwohl er Nationalparks ohne Ende und sogar einen 3000er, den Mount Hood, zu seinen Schätzen zählt, niemand bekannt.

In all den tausenden Büchern, Zeitungsartikeln, Magazinbeiträgen, sogar in ihrer altmodischen, aber 1986 sehr modernen, 18-teilige-Lexika-Ausgabe, die als Firmgeschenk des Onkels in edlen schlammgrünen, goldverzierten Hardcover-Einbänden auf ihrer Schrankwand im Jugendzimmer schön in der Reihe mit den anderen Hardcoverbüchern, wie „Aus Mangel an Beweisen“ und den Jelinek-Werken stand – die praktischeren, handlicheren Taschenbücher waren damals noch nicht populär in der prunkvollen Lady Di- und Prinz Charles-Ära – war sie noch nie über ein derartiges Wort gestolpert, dass sie ihrem willigen Geist verinnerlichen hätte können.

Das Einzige, was ihr jetzt dazu einfällt, ist, der oftmals mit ihrem Sohn konsumierte Oreo-Shake, gleich nachdem es die neue Fast-Food-Kette mit Drive-in auf der Insel in Tinnum gab, wo er sich natürlich als 10-14jähriger blicken lassen musste und sie gern Chauffeurdienst spielte nach den wöchentlichen Kinobesuchen. „Und schon wird es interessant, woher die Oreo-Namensgeber ihre Bezeichnung für das knusprige, zartcremig gefüllte, Doppelstück Keks herleiteten.“

Sie googelt flink, stößt wohl auf originär, im Sinne von ursprünglich, grundlegend neu oder eigenständig, doch unter oregenär lässt sich nur ein Text finden, der irgendwelchem sakralen Exorzistengeist aus dem 13. Jhdt. entsprungen sein muss, als Beschreibung eines „teuflischen“ Bildes dient und in abartig schönem Latein verfasst, aber in keinen sonstigen Zusammenhang zu bringen ist.

Sie lässt es nun einfach so stehen, wie es ist. Es gibt auch noch andere Dinge zu erledigen, als die bisher längste Klage, über die sich bestimmt kein Richter freuen wird, aber dies scheint die Taktik BBs auszuzeichnen, weil er somit garantiert eine rasche Entscheidung bekommt, damit die Eminenz Robe und Barett schleunigst gegen ein Surfbrett am Strand in der Sonne tauschen kann.

© Daniela Neuwirth 2021-02-22

Hashtags