Verehrter Freiherr Frederik Hawliczek, mein Freund,
Mit großem Bedauern muss ich dir mitteilen, dass die Gerüchte wahr sind. Deine geliebte Heimat, Wien, existiert nicht mehr. Ich stehe hier bei den kreisförmig angeordneten Steinen auf der langen Insel der Donau und blicke auf Nichts. Keine Spur einer Zivilisation – der Anblick gleicht dem, was ich bereits bei Brüssel, Berlin, Hamburg, München und zahllosen anderen Städten sehen musste.
Doch die Probleme enden nicht mit diesen Verlusten. Auf meinem Weg hierher vernahm ich, dass weitere Älteste unserer Art aus ihrem Schlaf erwachten und in ihrem Hunger eine Spur der Verwüstung hinterließen. Diesmal erreichten mich Berichte aus den Karpaten und dem Uralgebirge, wo zehntausende Menschen, Magier, Fae und Werwesen ihr Leben ließen.
Dieses zunehmende Erwachen und die damit verbundenen Blutbäder stellen ein wachsendes Hindernis für meine Reisen dar. Es spielt keine Rolle, wie verbittert die Nichtmagier die Magier verfolgen oder die Magier Jagd auf Nichtmagier machen. Keine Bedeutung hat es, wie viele Werwölfe Werkatzen reißen, Fae sich als Söldner verdingen oder Dämonen aus der Hölle emporkriechen, um ihrem Krieg zu entkommen. Sobald Gerüchte über unsere Art aufkommen, vereinen sich alle, um uns zu jagen.
Unser Mantel aus Schweigen und Stille ist gebrochen, und das, was darunter verborgen lag, wurde der Ă–ffentlichkeit preisgegeben. Noch immer trage ich den Geruch der Asche von Rodriguez de Sala und Amber Hernandez in der Nase. Beide entkamen dem verschwindenden Berlin nur, um von Magiern gestellt und verbrannt zu werden. Noch immer trauere ich um meinen Freund Alexander, der Jahrtausende ĂĽberlebte, nur um im Schlaf von Kugeln automatischer Waffen in einer Scheune niedergestreckt zu werden. Welch undankbares Ende fĂĽr eine solch noble Seele.
Ich weiß nicht, welcher Wahnsinn unsere Ältesten zu solchen Taten treibt. Hat es mit den verschwundenen Städten zu tun, an die nur wir uns erinnern können? Städte, die aus Geschichtsbüchern und Landkarten getilgt wurden?
Doch es gibt Hoffnung. Ich hörte von einem Ältesten, der ohne Massaker erwachte und Überlebende unserer Art zu sich ruft – jene, die dem Wahnsinn, der Trauer und dem Krieg entgangen sind. Dieser Älteste, Gavriel, soll sich in Griechenland aufhalten, und ich gedenke, seinem Ruf zu folgen.
Ich bin ein Krieger, ein Soldat, treu und unerbittlich stehe ich meinen Idealen und Freunden zur Seite. Doch gegen das, was uns hier erwartet, kann ich nicht kämpfen. Diese Geschehnisse erfordern andere Stärken – vielleicht sind es jene, die du besitzt.
Ich bitte dich, mein Freund, reise mit mir nach Griechenland. Lass uns gemeinsam Gavriel suchen, eine Antwort finden und einen Plan schmieden, um diese Zeit des Wahnsinns und der Asche zu ĂĽberstehen.
In Ehren und hoffnungsvoll wartend,
Christian
© Aaron Reissner-Goldammer 2024-12-21