K6 Aller Anfang ist schwer…

Christina Mayrhofer

von Christina Mayrhofer

Story

Frau Maschek betrat mit mir im Schlepptau die „Gruppe 1“, die offene Station der KJP. An diesem Tag hatte Harald Dienst, welcher auch mein Bezugspfleger war, wie ich erfuhr. Als ich die Station betrat, saß da in einem von zwei dunkelbraunen Ledersesseln ein Junge, dem ich spontan die Hand entgegen steckte, um ihn zu begrüßen. Er erwiderte meinen Händedruck, allerdings sehr unsicher. Julian, wie er sich vorstellte, hat es mir angetan. Sein Lockenkopf gefiel mir und auch seine Ausstrahlung wirkte freundlich und doch auch irgendwie verletztlich. Dann wurde mir eines der Zimmer zugewiesen, welches ich mir mit Jenny teilte. Sie war wirklich eine ganz Liebe, man spürte kaum dass da noch jemand im Zimmer war, wenn sie nicht stundenlang gelernt hat, dann ging sie Laufen oder eben anderen ihrer vielen Zwänge nach. Jenny wusste, wie man die Pflegekräfte hinters Licht führte. Sie schaffte es immer wieder, nicht zu essen, oder aber genug Sport zu betreiben und letztendlich akribisch die Kalorien zu berechnen, die sie zu sich genommen, oder eben wieder ausgekotzt hat. Jenny wurde immer wieder Auf Station 6 gebracht, die Akutstation der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie bekam des öfteren eine Magensonde gesetzt, mich wiederum sehr getriggert hat, da ich zu dem ZEitpunkt, wenn auch im Normalgewicht, mich viel zu fett empfand.
Dann war da noch Lisa, sie litt an einer Essstörung und noch etwas, woran ich mich aber nicht mehr erinnere. Sie war sehr still. Stiller als ich, und irgendwie mochte ich sie,schaffte es aber nicht, ein bisschen Smalltalk mit ihr zu betreiben, da sie sehr insich gekehrt war. Vanessa, eine Heroinabhängige 17 Jährige, Christiane, mit ihren 100000 Gesichtern und letztendlich war da dann noch ich: DIE BORDERLINERIN
Zu dem Zeitpunkt hatte ich von meine damaligen Therapeuten die Verdachtsdiagnose Borderline bereits erhalten. Ob sich das bestätigen würde, dachte ich oft nach, wenn ich stundenlang wach in meinem Bett lag, und Jenny dabei zuhörte, wie sie im Schlaf gleichmäßig atmete. Ausgänge bekam ich ab der Zweiten Woche. ICh hatte mich halbwegs damit arrangiert, nun in der Psychiatrie zu sein, und fühlte mich nicht mehr ganz so „irre“ wie am Anfang. Im Prinzip bestand mein Tagesablauf wie folgt: 7:00 Aufstehen, Zähne putzen, Anziehen, Case trinken und dann warten bis die Betreuer der „Werkstatt“ uns abholen. Mit uns meine ich diejenigen, die nicht die HILK (Gymnasiumniveau) besuchten. Wir spazierten dann mit Elke und Mario in den Keller hinunter, um dort den Vormittag kreativ zu gestakten. Ich arbeitete damals mit einem riesigen Ytongblock und sollte daraus etwas erschaffen. ERSCHAFFEN???? Tja, die Überforderung war mir ins Gesicht geschrieben, dennoch gab ich mein bestes, und letztendlich entstand eine grabsteinähnlicher Block, der wohl mit Sarkasmus gesehen, mein eigener sein hätte können.

© Christina Mayrhofer 2025-01-20

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional