Kaleidoskop

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

Seit ich wieder in Feldkirch wohne, scheint mir die Montfortstadt wie ein Kaleideskop. Alles war schon vor Jahrzehnten da, jeder Pflasterstein, jeder Schriftzug an den Häusern. Die Leute, in meinen Augen damals bereits „alt“, sind naturgemäß Greise geworden, die sich erstaunlich wacker auf den Beinen halten. Dieselben Teile, geschüttelt, nicht gerührt, ergeben täglich neue Bilder.

Ich habe einen Termin für die Pediküre, stehe an der Kreuzung und warte auf Grün. Ein Stadtstreicher bleibt neben mir stehen, blickt empor und deklamiert: „Das Himmelsblau wird immer lichter, der Straßenverkehr immer dichter.“ – „Sie sind auch ein Dichter“, lache ich. – „Ein Pöt!“ Damit schlurft er fröhlich seines Weges.

Weil ich noch Zeit habe, will ich endlich wissen, was auf der Tafel beim Hotel Post steht. Hier befand sich in grauer Vorzeit die Herrenstube, Herberge der ständischen Abgeordneten des Landes. Als 1510 Kaiser Maximilian I. den Grafen von Montfort besuchte, stieg er von der Schattenburg herab und kehrte dort ein. Vermutlich jammerten die anwesenden Bürger, denn der gut gelaunte hohe Herr schenkte ihnen 20 Gulden. Mit dieser Gabe hatten sie nichts Besseres zu tun, als sie sofort zu – ja richtig, zu vertrinken.

Auf gepflegten, gesalbten Füßen mache ich einen Umweg und besuche den verborgenen Park zwischen dem Dom und dem Palais Liechtenstein. Obwohl sich kaum jemand hierher verirrt, sind die Fassaden tiptop bemalt, das Fachwerk leuchtet, die Terrassen wirken heimelig. An einer weiß gekalkten Wand ist ein wunderschönes schmiedeeisernes Tor angebracht. Rote Rosen ranken sich daran empor wie an einem Grabkreuz. Das Tor hat keine Funktion mehr, doch früher sicherte es den Eingang zum Pelzhaus Krupica. Hier hat es seinen Gnadenplatz gefunden.

Ich setze mich auf eine der schattigen Bänke und staune über das riesige Vogelnest im Ahorn. Links steht die Tür einer Werkstatt offen, und ich fühle mich um Jahrhunderte zurückversetzt.

Die Altstadt mit ihren stuckverzierten Erkern, bemalten Hausfassaden und Arkaden ist ganz genauso wie in meiner Schulzeit. Heute spielt ein Roma-Quartett, zwei Geigen, Bass und Gitarre. Mit ihrem Brahms-Stück legen sie eine rhythmische Saitenstraße über die Marktgasse.

Und wieder erkenne ich ihn erst, als er schon vorüber ist, und auch nur am markanten Rücken seiner Frau: meinen ehemaligen Klassenvorstand. Sein Haar ist schlohweiß geworden, er trägt es jetzt ziemlich lang. Konzentriert und mühselig bahnen sich die beiden ihren Weg über das Pflaster. Zielgerichtet blicken sie strikt geradeaus, niemals riskieren sie einen Seitenblick. Ich hätte Angst, sie zu erschrecken, wenn ich das Paar je anspräche.

Damals war Flowerpower und „Make love, not war“ unser Credo. Ach Charly, wie kindisch haben wir gekichert, als du, ein überzeugter Romanist, Mühe mit unseren englischen Ausdrücken in den Aufsätzen hattest: „Was heißt denn das, dieses, dieses Löff da?“ Dabei haben wir von dir so viel gelernt!

© Maria Büchler 2021-09-15