Es ist bereits das zehnte Bild in Folge von ihr: Sie, sitzend auf der Fensterbank, dabei einen frisch gebrühten Kaffee an ihrer Seite, während sie gedankenversunken zum Fenster hinausschaut und auf einer Ukulele spielte. Ichschreibe ihr erstaunt, dass ich gar nicht wusste, dass sie ein Instrument spielte. Und erst recht nicht eine Ukulele.
Ihre Antwort folgte – mit einem Sternchen versehen – prompt: “*Mini Gitarre. Und nein, dafür habe ich im Moment keine Zeit. Aber meine Follower sollen denken, dass ich spiele.” Es folgten mehrere Lachsmilies.
Aha, wow. Kurz darauf repostet sie die Reaktionen ihrer Zuschauer: “Mega! Wusste gar nicht, dass du spielst!” – “Haha, danke!”
“Cool, du musst mir irgendwann mal was vorspielen.” – “Ja, irgendwann auf jeden Fall.”
Der arme Typ wusste nicht, dass sie ihm bereits etwas vorspielte. Wenn auch anders, als erhofft.
Ich legte mein Handy zur Seite und wandte mich wieder meinem Laptop zu. Das Papyrus-Auto-Programm geöffnet, die leere Seite blendete mich in meinem angedunkelten Zimmer, wie schon seit Tagen. Jegliche Idee verwarf ich auf der Stelle, weil mein innerer Kritiker ein blaues Monster mit scharfen Klauen war, die sich gerne in mein Unterbewusstsein bohrten, um mir klar zu machen, dass es niemals für ein Buch reichen würde.
Deprimiert ergreife ich mein Handy erneut. Ein neuer Repost von einem ihrer Follower: “Du schreibst, du zeichnest, du spielst Gitarre! Du bist eine echte Künstlerin”, gefolgt von zich Herzsmilies.
Aha. Gut zu wissen. Was war ich dann? Der klägliche Versuch, etwas sein zu wollen, was ich nie sein werde? Die Krallen gruben sich tiefer in mein Unterbewusstsein. Ich schloss meinen Laptop und ziehe die Vorhänge auf. Ich musste Abstand von allem gewinnen.
Die Worte meiner Kunsttherapeutin kamen mir in den Sinn: “Du bist zu dir und deiner Kunst viel zu streng. Dabei ist deine größte Stärke deine Fantasie!” War es nicht eher peinlich, mit Mitte zwanzig noch in Fantasiewelten zu flüchten? Und wieso hinterfragte ich mein ganzes Leben, wenn ich Menschen wie sie sah: Menschen, die ohne viel zu tun, Zuspruch von ihren Nächsten bekamen, während ich um Anerkennung kämpfen musste?
Ich schüttelte innerlich den Kopf: Schluss damit! Ich sollte aufhören mit dem Selbstmitleid und mich wieder an meinen Laptop setzen. Also ignoriere ich den Drang, das schöne Wetter zu genießen und nach draußen zu gehen und werfe mir eine Vitamin D Tablette ein, bevor ich einen neuen Versuch wage, etwas zu schreiben.
© Adelin Christin Grimm 2022-04-03