von Rebecca Hümmer
Das Geräusch des Windes wurde lauter, als die Nacht über La Gomera hereinbrach. Das Gespräch auf der Terrasse war längst verstummt. Hagen saß mit verschränkten Armen da, sein Blick schweifte hinaus auf das dunkle Meer. In ihrem Stuhl zurückgelehnt saß Johanna. Die Erkenntnis, dass er noch lebte, hatte etwas in ihr ausgelöst – eine Mischung aus Wut, Erleichterung und Angst.
„Wer jagt mich, Hagen?“, fragte sie schließlich. Er atmete tief durch, als würde er nach den richtigen Worten suchen. „Die Vergangenheit“, sagte er dann schlicht.
Elena schnaubte: „Wenig konkret.“
Hagen musterte Johanna lange. „Es gibt immer noch Leute, die nicht wollen, dass bestimmte Dinge ans Licht kommen. Erinnerst du dich an die Dokumente? An die Namen?“
Johannas Finger krampften sich um die Lehne ihres Stuhls. Natürlich erinnerte sie sich.
Eine Wohnung in Frankfurt. Gestohlene Akten, die Verbindungen zwischen der RAF und internationalen Geheimdiensten belegten. Ein Treffen, das in Chaos endete. Die Nacht, in der sie floh – und alles hinter sich ließ.
„Jemand hat nachgeforscht“, fuhr Hagen fort. „Du bist zu sichtbar geworden.“
Johanna schüttelte den Kopf. „Ich habe nichts getan.“
„Du hast existiert“, sagte Hagen ruhig.
Die Stille zwischen ihnen wurde schwer. Elena stand auf und goss sich ein weiteres Glas Wein ein. „Also was jetzt? Wir setzen uns hin, lösen ein paar Kreuzworträtsel und tun so, als wäre nichts?“
Johanna lächelte geistesabwesend. Kreuzworträtsel. Ein Reflex ließ sie in ihre Tasche greifen, das Heft hervorziehen. Der Stift glitt über das Papier. „Endgültiges Schicksal mit drei Buchstaben.“
Sie stockte. Hagen aber betrachtete sie aufmerksam. „Du hast es bereits entschieden, nicht wahr?“
Johanna sah auf das leere Kästchen vor sich.
T-O-D.
Sie legte den Stift beiseite und flüsterte fast: „Ich bin müde, Hagen.“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, müde, traurig: „Ich weiß.“
Sie nahm das Glas Wein in die Hand. Der Geschmack war bitter, ein Hauch von etwas Unbekanntem. Vielleicht war es nur Einbildung. Vielleicht nicht.
Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie eine Wahl.
Sie trank.
© Rebecca Hümmer 2025-03-01