Es dauert einen Moment, bis ich mich an das grelle Tageslicht gewöhne. In meinem Kopf macht sich die vertraute, dröhnende Leere breit – doch da ist noch etwas anderes. Fahrig wandert meine Rechte zum Hinterkopf, von dem das neue Gefühl ausgeht. Das Areal ist klebrig, verkrustet. Während ich noch versuche, Bewegung und Tasteindruck zusammenzufügen, beginnt es in meinem Schädel zu hämmern und ein quälendes Gefühl überwiegt – Trauer, vermischt mit… Schuld? Meine Gedanken stürzen in pure Zusammenhanglosigkeit, in der jede neue Überlegung dazu verdammt ist, zum Epizentrum eines Tsunami zu werden, der meine kläglichen Versuche über Wasser zu bleiben donnernd unter sich begräbt. Mir dämmert, dass diese Episode bereits eine Wiederholung ist.
Unter einer neuerlichen Welle durchkämme ich mein Hirn nach einem Überlebensprogramm.
`Land!´ Erleichtert, wenigstens das elementar Wichtigste auf die Reihe zu kriegen, zwinge ich meine Lider sich zu bewegen und blinzle ins Licht. Der weiße Sand und die kristallklaren Wellen reflektieren die fast schon im Zenit stehende Sonne, dass es mir in den Augen schmerzt. Irgendetwas an dem Bild irritiert mich. Kopfschmerz und Panorama passen nicht zusammen. Denn offensichtlich bin ich nicht an Deck, nicht auf der „Pajmir“. Verärgert drücke ich die Lider aufeinander, als würde ich dadurch das Rauschen der Brandung und die aneinander reibenden Palmwedel über mir verschwinden lassen und in meiner Wohnung in Kaliningrad aufwachen können. Doch wie eine leise Ahnung in mir bereits fürchtet, verschwinden die Geräusche nicht. Und dieses seltsame Gefühl auch nicht. Allein der Gedanke daran, mich jetzt mit dieser Realität auseinandersetzen zu müssen, bereitet mir höllische Kopfschmerzen.
`Nu choroscho´, denke ich und sage mir anschließend mechanisch auf, was als Überbleibsel meines Hirns vorhanden ist: „Schlüssel. Telefon. Portemonnaie.“
Meine Stimme klingt rau. Kehlig. Und heillos betrunken. Geistesabwesend betrachte ich meine Rechte, wie sie sichtlich unkoordiniert die Hosentaschen abtastet. Dann noch einmal.
„Verfickte Scheiße!“ Ich lausche meiner eigenen lallenden Stimme, während jeder Buchstabe sich wie ein Brandeisen durch meinen Schädel frisst, versuche dem über mich hereinbrechenden Albtraum zu entfliehen, hoffe, die Illusion würde sich auflösen, wenn ich nur aufrichtig daran glaube. Doch ich merke schnell – Gott lässt mich auch hier im Stich. Ich bin wie immer allein – Steuer, Nautik, Karten – alles ist an mir.
`Du solltest aufhören so zu saufen, verdammt!´, brummt die Stimme der Vernunft. Ich ignoriere sie schon lange. Akribisch spätestens seit irgend so eine Weißkittel-Tante in Selenogradsk mit strengem Blick anmerkte, meine Leber zeige Folgen chronischen Alkoholkonsums und ich wäre auf dem besten Weg, früh ins Gras zu beißen.
„Wir werden ja sehen“, quittiere ich den unbehaglichen Gedanken in gewohnter Manier, rufe mich zur Ordnung: „Davor! WAS WAR DAVOR?“
© Anna-Alice Ortner 2022-07-31