von Sophie Thiele
Es war kalt.
So kalt, dass ich meine Zehen und Fingerspitzen nicht mehr spüren konnte.
Wo war ich?
Ich musste mir den Kopf angehauen haben, denn ich konnte kaum klar denken, kaum sehen.
Warum war es hier so kalt?
Eine Welle begrub mich unter sich und ich schmeckte das Salz und den Dreck des Ozeans. Dieser Moment ließ mich begreifen, wo ich war.
Ich war inmitten des Atlantiks und es war stockdunkel und kalt. Was war passiert? Komm schon Juliene, erinnere dich!
Eine weitere Welle verschlang mich und ich hatte Mühe wieder an die Oberfläche zu kommen, während sich Wasser in meiner Nase sammelte. Kaltes, salziges Wasser. Ich spürte, wie mein ganzer Körper zitterte, in der Hoffnung eine lebenserhaltende Temperatur beizubehalten. Doch das Salzwasser um mich herum hatte bestimmt grade mal 5°C, also war dieses Unterfangen hoffnungslos. Mir schmerzte alles, wobei ich nicht wusste, ob es von der Kälte kam oder ob und was vorher etwas passiert war. Wie bin ich hier hergekommen? Inmitten von tiefster Dunkelheit und dem unendlichen Ozean? Meine letzten Erinnerungen waren die, wie ich mich von meinem Mann, Jade, verabschiedete. Wie wir uns küssten, bevor ich ihm meine Tasche abnahm und schnell das Schiff betrat. Wie ich mich an die Reling stellte und ihm zu wank. Wie ich meinen Hut nahm, als wir absetzten und ihn wie ein Frisbee zu Jade warf. Wie er ihn auffing, ihn an sich drückte und mir noch weitere Luftküsse zuwarf. Wie ich meine kleine Kammer betrat und meine Tasche auf das ungemütliche Bett stellte, bevor ich erneut das Deck betrat. Wie mein Kleid im Wind wehte, während die Sonne noch hoch am Himmel stand und man noch vereinzelt Möwen sehen und hören konnte. Es war ein wunderbarer Tag für diese Reise, die ich schon so lange wollte. Die Reise, die viele meiner Fragen beantworten sollte. Ich sah mich auf dem großen Deck um. Viele Menschen taten es mir gleich, sie spazierten über den Holzboden und sahen, wie sich das Land immer weiter von uns entfernte. Sahen zu, wie das Wasser immer tiefer wurde und wie die Sonne die Oberfläche glitzern ließ. Ich spürte sie auf meiner Haut, ihre Wärme und ich roch den Ozean. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und legte meine Wangen in Falten. Es war ein guter Tag für diese Reise. Wahrscheinlich der Beste.
Erneut eine Welle.
Eine weitere Erinnerung blitzte vor mir auf.
Ich saß im großen Saal an einem der abgelegenen Tische und aß zu Abend. Eine Frau namens Jasmine hatte sich zu mir gesellt, dabei war ich ihr vorher nur ein einziges Mal auf der Damentoilette begegnet. Und dennoch hatte sie sich ungefragt zu mir gesetzt und mir aus ihrem Leben erzählt.
Ob es ihr gut ging?
© Sophie Thiele 2023-12-15