von Leonie Truyen
Freitag, der 13.07, für die meisten ein Tag wie jeder andere auch, für mich aber war es ein Tag, der mein Leben für immer veränderte. Er fing an wie jeder andere auch, ein ganz normaler, stressiger, vollgepackter und langweiliger Collegetag. Am Abend fuhren ich und mein Bruder wie verabredet zu unserem Dad nachhause, ich musste lernen für eine Klausur, die bald anstand, mein Bruder aber entschied sich dazu noch heimlich mit Freunden feiern zu gehen und eigentlich sollte ich ihn nur vor unserem Vater decken.
Unser Vater kann sehr streng sein, sehr Karriere fokussiert, da waren Partys, egal ob Wochentag oder Wochenende für uns einfach nicht drin. Also sprachen mein Bruder und ich uns auf dem Campus bereits ab, wir würden bei unserem Vater gleich in unseren Zimmern zum „Lernen“ verschwinden, unser Dad ist sowieso immer mit Arbeit beschäftigt, wahrscheinlich kriegt er nicht einmal mit, wenn wir da sind.
Er würde dann feiern gehen, wollte um eins in der Früh wieder zurück sein und ich erzählte unserem Vater er wäre in seinem Zimmer lernen, doch es kam alles anders gedacht… Das Ganze ist jetzt insgesamt zwei Jahre her, 730 Tage voller warten, bangen und hoffen. Anderthalb Jahre davon ging die Suche nach ihm, anderthalb Jahre lang haben wir mit der Nachbarschaft, Freunden, der Polizei samt Suchhunden und sogar Tauchern nach ihm gesucht.
Dann plötzlich tauchten Abschiedsbriefe von ihm auf, versteckt in einem Notizbuch zwischen Notizen und selbstgeschriebenen Songs, für die Polizei war der Fall somit abgeschlossen – Selbstmord.
Vorbei war der Kampf für uns aber noch lange nicht, wir durften noch ein halbes Jahr dafür kämpfen, eine Beerdigung abhalten zu dürfen, denn es gab ja keine Leiche. Es waren also zwei Jahre, in denen keiner so richtig wusste, wie es mit dem eigenen Leben nun weiter geht, zwei Jahre haben wir gehofft, dass er wieder auftaucht, zu uns zurückkehrt und alles wieder so wird wie früher. Es ist ein verhältnismäßig warmer Mittag mitten im Februar, leichte Sonnenstrahlen tanzen um uns herum und eine leichte aber angenehme Brise wehte in der Luft, die Kirchenglocken klangen wie ferne Schläge in Watte. Ich stand regungslos am Eingang der Kirche, während um mich herum schwarze Anzüge, Kleider und gesenkte Köpfe vorüberzogen. Ich hatte gehofft, dass es anders wäre, dass es sich unwirklich anfühlen würde wie ein schlechter Traum. Aber es war real und ich musste mich von meinem großen Bruder verabschieden. Ein kleines Lächeln überkommt mich, als ich sehe, wie die Kirche geworden ist, alles ist wunderschön in Blau und weiß tönen geschmückt, genau wie wir es wollten und genau wie er es gewollt hätte. Der leere Sarg stand seitlich zum Altar, weißes Holz, schlicht, wie er es gemocht hätte. Kein Gold, kein Prunk – nur eine einzelne Gitarre lehnte daran, seine. Ich stellte mich zunächst in die vorderste Reihe neben unseren Vater, der nur da stand und kalt in den Raum guckt, schon fast als wäre ihm das alles hier egal, als wäre er physisch gar nicht anwesend.
© Leonie Truyen 2025-06-23