Kapitel 1 – Il piccolo paradiso

Carolin Mund

von Carolin Mund

Story
Südtoskana, Maremma 1943 – 2017

2017 Luisa saß in eine Decke gehüllt im Liegestuhl im Garten ihres Großvaters und blinzelte in die Sonne. Wie ruhig und friedlich es hier war. Fast hatte sie vergessen, wie schön dieses grüne Fleckchen Erde war. Als Kind hatte sie ihr Großvater Karl oft mit in seinen Garten genommen, in sein „kleines grünes Paradies“ wie er immer sagte. Die ersten Krokusse und Winterlinge streckten schon ihre Köpfe aus den Beeten und ließen erahnen, welch bunter Blütenteppich bald das Auge erfreuen würde. Es war ein tröstlicher Anblick und gab Luisa Hoffnung, dass alles doch nicht so schlimm war und alles wieder gut werden würde. Das Opa Karl es schaffen würde. Beim Gedanken an den Anruf ihrer Großmutter vor einer Woche wurde ihr immer noch ganz flau im Magen. Völlig verzweifelt hatte sie Luisa bei der Arbeit angerufen und ihr berichtet, dass Opa Karl starke Kopfschmerzen bekommen hatte und dann im Badezimmer einfach umgefallen war. Ein Schlaganfall war schuld, das war die knappe Prognose der Rettungssanitäter gewesen und seitdem lag ihr Großvater auf der Intensivstation im Koma. Nach der stundenlangen Operation waren sie kurz bei ihm gewesen und es tat Luisa so unendlich weh ihren Großvater so hilflos zu sehen, angeschlossen an zig Apparate, die ständig piepten. Ob er das wohl hören konnte? Sie wusste, dass es ihn wahnsinnig machen würde. Opa Karl zog immer die Ruhe vor, er liebte die Stille und konnte stundenlang einfach nur so dasitzen und die Vögel in seinem Garten beobachten. Er war eher ein in sich gekehrter Mensch. Oft hatte sie sich damals gefragt an was er wohl dachte, ihr Opa, wenn er so dasaß und einfach nur in die Ferne schaute.

Er kannte jede Blume, jeden Baum und hatte zu allem eine Geschichte parat. Luisa liebte es, ihm bei der Gartenarbeit helfen zu dürfen. Sie bewunderte seine Hingabe zu jedem kleinen Pflänzchen, seinen grünen Daumen. Am liebsten saß er unter der Veranda, die im Sommer komplett von der Bougainvillea berankt war. Luisa erinnerte die lila Blütenwolke immer an den Süden, an ihre Sommerurlaube in Italien. Die Blume gehörte definitiv zu Opa Karls Lieblingsblumen, denn er schleppte sie jeden Winter vom Garten nach Hause ins Treppenhaus und dann im Frühling wieder zurück auf die Veranda. Großmutter schüttelte immer den Kopf darüber und meinte, dass es zig andere winterharte Kletterpflanzen gäbe und der ganze Aufwand total unnötig sei. Aber Großvater ließ sich nicht davon abbringen und sagte nur: „Das verseht ihr nicht.“ Und jetzt war es an Luisa, sich um Karls kleines Reich zu kümmern, solange er es nicht konnte. Sie hatte es ihrer Großmutter versprochen, die so gut wie nie zum Garten hinausfuhr. Ihr Großvater brauchte sein Refugium, seinen Rückzugsort hatte sie ihr gesagt. Und Luisa half es in diesen schweren Stunden mit ihrem Großvater verbunden zu sein. Es tröstete sie, doch etwas für ihn tun zu können. Beim nächsten Besuch im Krankenhaus konnte sie ihm vielleicht ein paar Zweige vom Mandelbäumchen mitbringen, die ersten Knospen waren schon zu sehen. Vielleicht würde er es spüren, vielleicht würde es ihn wieder zurückholen aus der Welt, in die er gerade abgetaucht war. Zurück zu ihr. Als sie sich an seine Stimme erinnerte, spürte sie eine Träne auf der Wange. „Weißt du, egal wie verrückt die Welt um dich herum auch ist. Hier ist ein Ort, wo all das nicht zählt. Immer wenn ich durch dieses Türchen gehe, dann bin ich in meinem kleinen Paradies.“

© Carolin Mund 2024-03-11

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Reflektierend
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