Kapitel 13:MARY

Theresa Löchner

von Theresa Löchner

Story

In der Elmer Holmes Bobst Library war es immer still. Die Studenten lungerten zwischen den endlosen Regalen, die sich parallel der Treppen in die Höhe schraubten. Niemand wagte es den Frieden zu stören, weshalb die Bücherei einer meiner liebsten Orte war. Steve ging nie mit hinein, weil er das Risiko, dass mich hier jemand entführen würde, als gering einschätzte. Also war ich wieder Mary McClare, eine ganz normale Studentin. Ich mochte diesen Teil von mir viel lieber, als die reiche Mary, die einen Hit nach den anderen für Amber Prince schrieb. Nicht, dass die Leute mich auf der Straße erkennen würden. Man kannte nur den Namen und nicht das Gesicht dahinter, aber hier konnte ich dennoch ich selbst sein.

Die wunderbare Stille endete abrupt, als ein Mädchen die Gänge entlang rannte. Ihre Schritte hallten in der gesamten Bibliothek nach, die Trommeln aus der Tiefe. Etwas in ihrem Gesicht bewegte mich dazu, in ihren Weg zu springen. Es war die Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit, die ich selbst manchmal in mir verspürte, jedoch niemals zeigte. Das Mädchen stieß einen überraschten Laut aus, der von einem Echo aus „Schhh“ begleitet wurde. „Brauchst du Hilfe?“, flüsterte ich so leise, wie möglich. Sie legte ihren Kopf schief und musterte mich. Langsam und eindringlich. Es war, als stünde ich völlig nackt vor ihr, als könnte sie jeden Schatten meiner Seele sehen. Ihre eisblauen Augen nahmen einen verdächtigen Schimmer an, als sie fragte: „Hast du dich jemals so hilflos gefühlt, als gäbe es keine Zukunft für dich. Wenn all deine Träume wahr werden, aber dann plötzlich zum Albtraum werden?“ So fühlte ich mich jeden Tag. Es war Amber und mein Traum gewesen zusammen, als Band, berühmt, zu werden. Dann war die Realität über uns hereingebrochen. Das Mädchen beobachtete jeden meiner Atemzüge ganz genau, als wollte sie abschätzen, ob ich sie für verrückt erklären oder ihr helfen würde. Sie so verletzlich zu sehen, erinnerte mich an das verzweifelte Kind, was ich einst gewesen war. Das Mädchen müsste nicht so enden, wie ich. „Was soll ich tun?“

„Das ist eine schlechte Idee“, keifte Ambers Manager. Am liebsten hätte ich den PC zugeklappt, auf dem uns sein breites Gesicht entgegen blickte. „Es ist für einen guten Zweck“, widersprach ich. Dieser Mann war eine Plage, alles, wofür er sich interessierte war, Geld. Amber, die neben mir auf der weinroten Couch saß, schützte die Lippen: „Eine Tour durchs ganze Land ist ein bisschen viel verlangt.“ Sie knetete nervös an ihren Händen. Ich wusste, was los war. Sie hatte ihren wunderbaren neuen Freund beim fremd gehen erwischt. Überraschung. „Überleg mal, wie viel Geld wir sammeln könnten“, versuchte ich sie zu überzeugen, „Tausende von Dollar, die an Marine Schutzgebiete gespendet werden.“ Ihr Manager schüttelte den Kopf, aber ich ignorierte ihn. „Bitte, Robin.“ Sie zuckte bei ihrem Geburtsnamen zusammen, nickte aber leicht. „Für die Delfine“, erwiderte sie lächelnd.

© Theresa Löchner 2022-08-30

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